Mächtige Frauen? Königinnen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter (11.-14. Jahrhundert), hg. v. Zey, Claudia (= Vorträge und Forschungen 81). Thorbecke, Ostfildern 2015. 487 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Ohne Frauen, mächtige wie schwache, hätte die Menschheit niemals entstehen können, so dass die Gegenwart ohne sie nicht auf eine geschichtliche Vergangenheit zurückblicken könnte. Dessenungeachtet lässt sich kaum bestreiten, dass die im geschichtlichen Gedächtnis präsenten Einzelgestalten Europas wie der Welt bisher ganz überwiegend Männer sind. Gleichwohl ist auch die Suche nach Macht und Herrschaft hochadliger Frauen im europäisch-deutschen Mittelalter interessant, in deren Rahmen der vorliegende stattliche Band den Blick vor allem auf die Königinnen richtet, denen es günstige familiäre oder strukturelle Umstände ermöglichten, als regierende Herrscherinnen hervorzutreten oder die Regentschaft für abwesende Ehegatten oder unmündige Söhne in verschiedenen Reichen und Regionen Europas im Hochmittelalter und Spätmittelalter auszuüben.
Grundlage des Bandes ist die vom 21. bis 24. September 2010 auf der Insel Reichenau vom Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte veranstaltete Tagung, deren elf für den Druck überarbeitete Vorträge durch zwei ergänzende Studien bereichert wurden. An der Spitze der überwiegend von Frauen präsentierten Referate steht dabei die gehaltvolle Einführung der in Düsseldorf 1963 geborenen, in Bonn 1992 promovierten, in München 2002 habilitierten und in Zürich seit 2004 für allgemeine Geschichte des Mittelalters tätigen Herausgeberin, der Christine Reinles grundsätzliche Frage, was Macht im Mittelalter bedeutet, unmittelbar folgt. Daran schließen sich regionale Untersuchungen zur iberischen Geschichte, zum späten Königtum von Jerusalem und zu den Gefährten, Regenten und Witwern im heiligen Land der Erbköniginnen, zum anglonormannischen Königtum sowie zu Aquitanien (Aliénor d’Aquitaine) und Kastilien (Blanche de Castille) und etwas später weibliche Habsburger im Südwesten des Reiches an.
Sachlich werden danach Krönungsordnungen für und Papstbriefe an mächtige Frauen, die Mittel von Frauen in der späten Salierzeit, das Stiftungsverhalten der Landesfürstinnen in Tirol und die geistlichen Fürstinnen angefügt. Jörg Rogge bietet aus dem Selbstverständnis eines schwachen Mannes am Ende eine überzeugende Zusammenfassung der Voraussetzungen für weibliche Herrschaftsausübung, der Mittel, der Erscheinungsformen, der Diskussion um die weibliche Macht und der offenen Fragen und Probleme, wobei er feststellen kann, dass es während des Mittelalters überall und immer wieder mächtige und auch starke Frauen (wie Mathilde, Melisende oder Alice) gab, die Herrschaft effektiv ausgeübt haben, deren Potential aber die meisten Männer eingrenzen und kontrolliert sehen wollten. Benutzerfreundliche Personenregister und Ortsregister runden den informativen Tagungsband vorteilhaft ab.
Innsbruck Gerhard Köbler