Landrechtsentwurf für Österreich unter der Enns 1526, hg. v. Brauneder, Wilhelm (= Rechtshistorische Reihe 452). Lang, Frankfurt am Main 2014. 195 S. Besprochen von Christian Neschwara.
Der Landrechtsentwurf für Niederösterreich aus 1526 stand bislang nur in Form einer handschriftlichen Transkription im Rahmen einer von Carl Chorinsky vor mehr als einem Jahrhundert herausgegeben Sammlung lithographierter Mitteilungen und Abschriften österreichischer Rechtsquellen der Neuzeit zur Verfügung, die in nur wenigen Exemplaren in öffentlichen Bibliotheken verbreitet ist. Die vorliegende Edition macht diese Rechtsquelle nun in gedruckter Fassung einem breiteren Kreis von rechtshistorisch interessierten Forschern zugänglich; Wilhelm Brauender setzt damit gewissermaßen das um, was eigentlich vor mehr als einem Jahrhundert von Chorinsky schon geplant war.
Landrecht wird in dem Entwurf von 1526 als Privatrecht in einem weiten Sinn begriffen, nämlich unter Einschluss von Gerichtsverfassung („Von den gerichtspersonen“) und Zivilverfahrensrecht („Von dem gericht und seiner ordnung“). Diese Materien bilden das erste und das zweite Buch des „Landrechts“; sie umfassen mehr als die Hälfte des Umfangs der Handschrift; das Zivilrecht im engeren Sinn ist im dritten Buch enthalten, es umfasst Materien des Vermögensrechts (Sachenrecht, Schuldrecht, Ehegüterrecht und Erbrecht); die letzten beiden der insgesamt 17 Titel im dritten Buch schlagen auch in Materien freiwilliger Gerichtsbarkeit ein (Vermögens-Inventarisierung im Nachlassverfahren bzw. Vormundschaftsrecht). Die Bezeichnung Landrecht weist daher einerseits auf das aus dem mittelalterlichen Rechtsleben überkommene Landrecht hin, sie knüpft aber auch an das in Zivilrechtssachen für die niederösterreichischen Landstände zuständige Gericht an, das ebenfalls als Landrecht bezeichnet wird. Der niederösterreichische Landrechtsentwurf von 1526 stellt aber weniger eine Quelle des aus dem Mittelalter als Gewohnheitsrecht überkommenen heimischen Landrechts dar, sondern enthält vielmehr beredte Zeugnisse der Formierung einer vom Humanismus beeinflussten Privatrechtswissenschaft im heimischen Raum: Er enthält eine bemerkenswerte rechtstheoretische Einleitung mit Übersetzungen von Fragmenten aus Institutionen (Vorrede, IV. Gerechtigkeit: S. 53) sowie Digesten (Vorrede, V. Recht: S. 53) und zeigt auch sonst das humanistische Bemühen um die Eindeutschung der lateinischen Rechtsterminologie, wobei die Worttreue der Übersetzung fallweise auch zu künstlichen Wortbildungen geführt hat (z.B. „erfinder oder inventari“: 3. Buch, X. Titel § 7: S. 163). Der Verfasser des Entwurfs zum Landrechtsbuch ist unbekannt, er erweist sich aber als ein versierter Kenner des römischen Rechts, das sich als gemeines Recht im Landrechtsentwurf inhaltlich mit Elementen heimischer Rechtsquellen verbindet, Landesbräuche wurden freilich relativ wenig berücksichtigt. Auch in der Gerichtspraxis hatte das Werk kaum Beachtung gefunden, für die Rezeption des römisch-gemeinen Rechts dürfte ihm also keine allzu große Bedeutung zugekommen sein, wie Gunter Wesener, dem die vorliegende Edition gewidmet ist, meint.
Neben dem Stammtext des Landrechtentwurfs aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv, der auch der Sammlung Chorinsky zugrunde liegt, wurden für die vorliegende Edition auch andere damals zur Verfügung stehende Handschriften aus dem Österreichischen Staatsarchiv und der Österreichischen Nationalbibliothek durch eine Mitarbeiterin des Herausgebers eingesehen, sowie eine weitere aus dem Oberösterreichischen Landesarchiv durch ihn selbst. Textvergleiche zeigen zwar bei zahlreichen Wörtern Abweichungen in der Schreibweise, sie betreffen aber nicht das Verständnis des Inhalts und wurden in der Edition auch nicht verzeichnet. Nicht eingesehen werden konnte der sogenannte Codex Thinnfeld aus dem Schlossarchiv Deutsch-Feistritz in der Steiermark, er war dort schon seit langem verschollen. Nach Erscheinen dieser Edition des Landrechtsbuchs wurde durch Mitteilung Gunter Weseners allerdings bekannt, dass der Codex Thinnfeld, eine auch für die Kodifikationsgeschichte des österreichischen Privatrechts bedeutende Quelle, dank der Bemühungen des Grazer Rechtshistorikers Otto Fraydenegg-Monzello, wieder entdeckt werden konnte; eine Veröffentlichung wird vorbereitet.
Der Landrechtsentwurf von 1526 stand am Beginn einer Reihe weiterer Entwürfe (aus den Jahren 1573 und 1595 sowie 1650/1654), die – über einzelne in Kraft gesetzte Ordnungen, etwa über Rechtsverhältnisse im grundherrschaftlichen Bereich (Tractatus de juribus incorporalibus 1679) oder über das gesetzliche Erbrecht (Satz- und Ordnung vom Erbrecht außer Testament 1720/1747 ), – eine Brücke schlagen zu den 1753 einsetzenden Vorarbeiten am Codex Theresianus (Josef Azzonis Vorentwurf bzw. Josef Ferdinand Holgers Anmerkungen über das österreichische Recht liegen seit 2012 in Druck vor). Die in Bezug auf die Edition von Rechtsquellen der Frühneuzeit aus dem Gebiet des heutigen Österreich klaffende Lücke ist mit der vorliegenden Veröffentlichung Wilhelm Brauneders ein wenig kleiner geworden – mögen noch weitere Editionen folgen! Hierbei wäre freilich zu empfehlen, zur Erleichterung der Benutzbarkeit Inhaltsverzeichnisse zu erstellen, welche die Gliederung der Quelle mit der Transkription verknüpfen, oder zur besseren Orientierung in Kopfzeilen fortlaufend Angaben über Buch und Titel bzw. die betreffenden Materien zu machen.
Wien Christian Neschwara