Kulturmanöver. Das k.u.k. Kriegspressequartier und die Mobilisierung von Wort und Bild, hg. v. Colpan, Sema/Kerekes, Amália/Matti, Siegfried u. a. (= Budapester Studien zur Literaturwissenschaft 18). Lang, Frankfurt am Main 2015. 374 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Die konstatierte Modernität des Ersten Weltkriegs (1914-1918) wird zum einen festgemacht am Einsatz neuartiger Waffensysteme mit verheerenden Vernichtungskapazitäten, zum anderen an den organisierten Bemühungen der Kriegsparteien um psychologische Einflussnahme auf die Stimmung im Inland und Ausland mit Hilfe geeigneter Einrichtungen zur gezielten Steuerung medialer Information. Das k.u.k. Kriegspressequartier (KPQ) war „Österreich-Ungarns zentrale militärische Propagandaeinrichtung […]. Es koordinierte ab dem Kriegsbeginn zunächst nur die Zeitungsberichterstattung, für die es Journalisten und Schriftsteller heranzog. Im weiteren Kriegsverlauf dehnte es seinen Aufgabenbereich aus und erweiterte sein Aufgabenspektrum. […] Das KPQ (bündelte) bis zum Ende des Krieges alle damals zur Verfügung stehenden medialen Ausdrucksformen […][und] stellte […] die Disziplinen Malerei, Fotografie, Film, Musik, Theater, Bildhauerei und Kunstgewerbe in seinen Dienst. Darüber hinaus übte es die Zensur im Bereich der militärischen Berichterstattung bzw. in allen militärischen Belangen aus“ (S. 17).

 

Im Dezember 2013 wurde unter dem Titel „Von den Gedenkjahren. Forschungstendenzen, Forschungsdesiderate zum Ersten Weltkrieg in den Kulturwissenschaften“ vom Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Gesellschaft (Wien) und vom Germanistischen Institut der Eötvös-Loránd-Universität (Budapest) eine gemeinsame Konferenz abgehalten, deren Erträge - mit dem Anspruch neuartiger Zugänge vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung des Wissens - in den vorliegenden Band eingeflossen sind. Insgesamt 23 Beiträge von 25 männlichen und weiblichen Wissenschaftlern (12 aus Österreich, 13 aus Ungarn) verteilen sich in diesem länderübergreifenden Projekt auf sechs Abschnitte, wobei die institutionell orientierten Abschnitte I („Verfügen“) und VI („Dirigieren“) mit den Beiträgen Walter Reichels und Peter Pleners eine Rahmen- und Klammerfunktion wahrnehmen. Darin eingebettet finden sich die kulturtechnisch definierten Komplexe „Schreiben“ (7 Beiträge), „Aufführen“ (4 Beiträge), „Bebildern“ (5 Beiträge) und „Erinnern“ (5 Beiträge).

 

Die allgemeine Vorstellung der Institution liefert Walter Reichel in Form eines nüchternen chronologischen Abrisses zu ihrer Entstehung und Entwicklung, ihrer Struktur und ihrer Tätigkeit. Eine 1909 erlassene Mobilisierungsinstruktion ermöglichte am 25. Juli 1914 die Aufstellung des KPQ unter Oberst (ab 1915: Generalmajor) Maximilian von Hoen, dem 1917 Oberst des Generalstabs Wilhelm Eisner-Bubna nachfolgte, der es systematisch ausbaute und bis zur Auflösung am 15. Dezember 1918 führte. Dem Armeeoberkommando (AOK) direkt unterstellt, durchlief es mehrere Phasen, die sich mit den Stichworten „Einrichtung und Indifferenz“ (1914) sowie „Restrukturierung und Passivität“ (1915-1917) unter Hoen, „Ausbau und Aktivität“ (1917-1918) sowie „Agonie und Auflösung“ (1918) unter Eisner-Bubna inhaltlich auf den Punkt bringen lassen. Im Abschlussbeitrag weitet Peter Plener die Perspektive über die Kriegszeit hinaus aus und weist der Institution KPQ und ihrer Arbeit einen erheblichen Stellenwert für die Entwicklung der medialen Moderne zu. Für ihn bedeutet die Installation des KPQ die Ingangsetzung eines Prozesses per Verwaltungsakt, dessen fundamentale kultur- und gesellschaftsgeschichtliche Folgewirkungen im Hinblick auf das Generieren moderner Medienverbünde seine Schöpfer nicht ahnen konnten. „Die klare Absicht umfassender Einflussnahme […], der immense, durchgehaltene und sogar gesteigerte Organisationsgrad dieses Unterfangens sowie die gezielte Nutzung des bestmöglichen (und zu diesem Zeitpunkt erstmalig multimedial zu nennenden!) Medienverbunds waren neu in der Geschichte. […] Das KPQ war eine Retortengeburt der Militärverwaltung […], geschaffen für einen Krieg im 20. Jahrhundert. Doch weder hatte man von diesem Krieg die geringste Vorstellung, noch vom 20. Jahrhundert. […] Man glaubte an Leitmedien und kam nach viereinhalb Jahren im dann nicht mehr zu verwaltenden Medienverbund einer neuen Welt- und Kulturordnung wieder heraus“ (S. 368f.). Denn: „Was seitens des Militärs nicht mehr für eigene Zwecke und auf unbestimmte Rechnungslegung hin usurpiert werden kann, erfährt nach dem Ersten Weltkrieg einen anders gerichteten Massengebrauch und dessen folgerichtig kommerzielle wie künstlerisch orientierte Nutzung“ (S. 366).

 

Zu beachten ist, dass keineswegs alle Beiträge des Bandes die Arbeit des KPQ thematisieren, sondern viele nur kontextuell wirksam werden, indem sie Tendenzen des zeitgenössischen Kulturbetriebs skizzieren. Im Abschnitt „Schreiben“ gilt dies für die Ausführungen Edit Királys zum „Topos Bosnien im ungarischen imperialen Denken“ (dieser Artikel liegt doch deutlich abseits der inhaltlichen Ausrichtung der Sammelschrift) und Alexandra Millners zu „Weibliche(n) Reaktionen auf den Ersten Weltkrieg in deutschsprachigen Frauenzeitschriften und literarischen Texten aus Österreich-Ungarn“. Unter den vielen bekannten Namen, die freiwillig oder auch unfreiwillig ihre Schreibkunst oder Arbeitskraft über einen bestimmten Zeitraum in den Dienst des Militärs zu stellen veranlasst waren, erfahren wir Näheres über Rainer Maria Rilke (Magdolna Orosz), Ferenc Molnár (Boldizsár Vörös) und Felix Salten (Alfred Pfoser) sowie über die österreichische Kriegsberichterstatterin Alice Schalek (Bernhard Bachinger) und ihr ungarisches Pendant Margit Vészi (Katalin Teller). Während dem Feuilletonisten, „Schmock funèbre“ und „Man of Many Faces“ Felix Salten „opportunistische Haltlosigkeit vom Anfang bis zum Ende des Krieges“ (S. 126) nachzuweisen ist, sind bei Rilke und Molnár trotz patriotischer Sympathien deutliche Vorbehalte gegenüber einer propagandistischen Inanspruchnahme auszumachen. Alice Schalek, bei Karl Kraus als klar negativ konnotierte Kunstfigur „die Schalek“ Prototyp der „in einer unangenehmen Weise sensationslüstern(en) und abenteueraffin(en)“ Kriegsreporterin (S. 77), erreichte als reale Person, wie gezeigt werden kann, in ihrem emanzipatorisch engagierten Wirken durchaus auch positive Resonanz, aus der sich eine ambivalente Beurteilung ihres Schaffens ableiten lässt.

 

Der Zweck der Fronttheater des KPQ (Michaela Scharf, Jakob Zenzmaier) bestand im Kern in der propagandistischen Funktion der Steigerung der Kampfkraft der Truppe. Die Gründung des Theaterreferats im Frühjahr 1917 schuf die organisatorischen Voraussetzungen und führte „zur Institutionalisierung des Kulturbetriebs am Kriegsschauplatz und zur systematischen Planung von Theateraufführungen und ähnlichen künstlerischen Darbietungen für die Heeresverbände“ (S. 193). Dem militärischen Publikum wurden zur geistigen Erholung vor allem heitere Stoffe, aber auch klassische Musik dargeboten, womit ein Stück Normalität in den Soldatenalltag getragen werden sollte. Der quellenmäßig reiche Fundus des Ungarischen Theatermuseums ermöglicht überdies luzide Einblicke in die Tourneen der ungarischen Fronttheater am östlichen, südöstlichen und italienischen Kriegsschauplatz und in die Etablierung und die Praxis der Kriegsgefangenentheater in Russland (Mirella Csiszár, Marianna Sipöcz). Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich allgemein mit den besonders auf dem Gebiet der Operette und des Kabaretts regen „Austauschbeziehungen der Wiener und Budapester Bühnen“ (Eva Krivanec) sowie mit „Theater und Publikum des Ersten Weltkriegs“ (Mirella Csiszár, Tamás Gajdó), wo etwa mit den „Kriegsmillionäre(n) […] eine neue Schicht im Zuschauerraum (erschien)“ (S. 189).

 

Von den Aufgaben der Kunstgruppe des KPQ sei „mit Sicherheit“ bekannt, dass „die Mitglieder […] neben den Gruppen der Fotografen und der Berichterstatter das Kriegsgeschehen in erster Linie mit patriotischem Ziel zu verewigen hatten. Von den mitwirkenden Malern und Bildhauern wurden unzählige Produkte wie Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Plakate, Künstlerpostkarten, Illustrationen, Plastiken und Skulpturen im Auftrag des KPQ erstellt“. Die Künstler waren dabei „teils wehrpflichtig, teils freiwillig mitarbeitend“ (S. 230), Hauptgattungen ihrer in KPQ-Schauen der Öffentlichkeit präsentierten Werke waren „1. […] Geschehensbilder, welche die verschiedenen Ereignisse wirklichkeitsgetreu darzustellen versuchten; 2. die heroischen, erinnernden Bilder; 3. die trauervollen Mementos; 4. […] Landschaftsbilder; 5. die Stimmungslandschaften, in denen das Kriegsgeschehnis bloß ein Mittel war, eine Stimmung darzustellen“ (S. 235). Neben dokumentarischen und propagandistischen Kunstwerken, welche die plakative Betonung von Kriegsgräueln aus offenkundigen Gründen zu vermeiden suchten, wurden Mónika Goda zufolge, die über die Mitarbeit ungarischer Künstler berichtet, unter der Ägide des KPQ „auch Arbeiten von hoher Qualität angefertigt“ (S. 246). Mit der gleichen propagandistischen Stoßrichtung eingesetzt, waren die Fotografie (Ilona Balog Stemlerné; ihr Beitrag geht auch auf die fotografische Dokumentation der auf den Krieg folgenden Revolution in Ungarn ein) und der Film (Sema Colpan) moderne Medien zur Fixierung visueller Eindrücke. Als bleibende Leistung sei festzuhalten, der Krieg habe „entschieden dazu beigetragen, die Fotografie zu popularisieren“ (S. 266). Die 1915 dem Kriegsarchiv zugeordnete Kriegsfilmpropaganda wurde 1917 in den Kompetenzbereich des KPQ verlegt. Als „Gegennarrativ“ zu Feindmaterial wurden ihre Produkte auch international lanciert: „Die Niederlande, Schweden und die Schweiz wurden phasenweise wöchentlich mit österreich-ungarischen Aktualitäten beliefert; in so unterschiedlichen Ländern wie den USA, China oder dem Osmanischen Reich wurden Filmscreenings organisiert“. Darüber hinaus durften „vereinzelt auch ausländische Kinooperateure […] von den Fronten der Monarchie berichten“, unter denen Frank E. Kleinschmidt den größten Bekanntheitsgrad erlangen sollte (S. 273f.). Da die Realität des Frontalltags den Produktionsbedürfnissen des Mediums Film nur höchst unzureichend genügte, wurden für die dokumentarisch intendierten, sogenannten „Kriegsjournale“ häufig Szenen nachgestellt, was zu einem Mangel an Authentizität, schwindendem Interesse der Öffentlichkeit und zur scharfen Kritik militärischer Experten wie des damaligen Hauptmanns des Generalstabs, Art(h)ur Phleps (dessen spätere Karriere als SS-General und Kommandant der 7. SS-Freiwilligen Gebirgsdivision „Prinz Eugen“ im Zweiten Weltkrieg hier ergänzend anzumerken wäre), aber auch zur zunehmenden Produktion von Unterhaltungsformaten mit Weltkriegsbezug führen sollte. Die filmische Technik des Schwenks in Fabrikationsfilmen und ihre Bedeutung erläutert Joachim Schätz in einem zusätzlichen Beitrag, Siegfried Mattl wiederum die Bemühungen des KPQ, vor allem im neutralen Ausland über die Instrumentalisierung der Mode der Wiener Werkstätte Österreich als einzigen kriegführenden Staat zu präsentieren, „der sich einen Rest an Humanität bewahrt hatte und Vorbild sei“ (S. 255).

 

Die letzte Gruppe der Beiträge umfasst fünf Arbeiten, die sich in heterogener Weise mit dem Nachleben und den langfristigen Wirkungen des Medienereignisses Erster Weltkrieg befassen. Amália Kerekes handelt über die Nachkriegsberichterstattung in den Werken von János Komáromi und Karl Hans Strobl, die „Rückschlüsse auf das Stilideal des KPQ zu(lassen), das eine unaufgeregte Mittelmäßigkeit begünstigen sollte“ (S. 300). Sabine Zelger wiederum arbeitet die mit dem Weltkrieg einhergehenden, „ökonomischen Erfahrungsstörungen“ heraus, die dann auch „Ende der 1920er Jahre Bedeutung erringen“ (S. 315). Das „Forschungsdesiderat Kriegsfotografie“ zeigt Tamás Lénárt anhand der Polarisierung der Doppelfunktion von Bildmaterial auf, das einerseits unter dem Gesichtspunkt der Entlarvung von Repräsentationsstrategien, andererseits unter jenem der Entlarvung der Realität des Krieges selbst Aussagekraft entfalte. Die ungerechtfertigte Inanspruchnahme einer missinterpretierten Antikenrezeption im Dienst der Kriegsverherrlichung belegt Attila Ferenczi am Beispiel der umstrittenen, manches Kriegerdenkmal zierenden Horaz-Sentenz „dulce et decorum est pro patria mori“. Neueste Medientechnik bedient Imre Kurdis Beitrag „eRinnern“, der nach Analysen des populären PC-Spiels „Rise of Flight“, das Luftkämpfe des Ersten Weltkriegs imaginiert, und der Stellungnahmen und historischen Fachsimpeleien in den zugehörigen Internetforen zum Schluss kommt, „dass diese zu kommerziellen Zwecken entwickelte Flugsimulation ein ernst zu nehmendes Erinnerungsmedium der Popkultur geworden ist“, indem zwar „die historische Erinnerungsarbeit der Spieler durch die Struktur der Spielwelt in vorgegebene Richtungen gelenkt (wird)“, nichtsdestotrotz aber „recht intensiv (verläuft)“ (S. 351f.).

 

Dieser letzte, exotisch anmutende Beitrag verdeutlicht abschließend noch einmal, worauf es den Gestaltern dieses Sammelbandes in erster Linie ankommt, nämlich auf das Aufzeigen jener langfristig wirksamen Prozesse, die als „eine ganz eigene […] diesem 20. Jahrhundert eingelagert(e) DNA“ (S. 369) in nuce ihre Grundlegung (auch) in den kriegsbedingten medialen Konzentrationsbestrebungen des KPQ erfahren haben, ohne dass ihre späteren Entwicklungslinien zu diesem Zeitpunkt auch nur annähernd absehbar gewesen wären. Ihre Schrift haben die versammelten Autoren ausdrücklich dem Andenken ihres während der Drucklegung zu früh verstorbenen Kollegen, des Leiters des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Gesellschaft, Siegfried Mattl gewidmet.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic