Kruse, Volker, Kriegsgesellschaftliche Moderne. Zur strukturbildenden Dynamik großer Kriege. UVK, Konstanz 2015. 288 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Seit seiner Entstehung hat sich der Mensch entwickelt, wenn auch nicht immer vollständig gleichmäßig sowie vielleicht auch nicht immer nur zu seinem Vorteil, und er wird sich voraussichtlich auch künftig verändern. Für die Vergangenheit lässt sich dieser Vorgang im Gegensatz zur Zukunft an Hand der Überlieferung nachzeichnen. Der Verfasser unternimmt dies nach Ausweis der hinteren Umschlagseite im Hinblick auf die Auswirkung großer Kriege anlässlich des 100. Jahrestags des ersten Weltkriegs, obgleich es ihn bei einem vier Jahre währenden Geschehen kaum wirklich geben kann.

 

In Helmstedt 1954 geboren, studierte der Autor in Marburg, Freiburg im Breisgau und Bielefeld von 1972 an Geschichte, Sozialwissenschaft sowie Pädagogik und wurde 1988 in Bielefeld mit einer Dissertation über Soziologie und „Gegenwartskrise“ – die Zeitdiagnosen Franz Oppenheimers und Alfred Webers als Beitrag zur historischen Soziologie der Weimarer Republik promoviert. Nach seiner Habilitation wirkt er als außerplanmäßiger Professor in Bielefeld, wobei er sich vor allem mit historisch-soziologischen Zeitdiagnosen, mit Analysen zur deutschen historischen Soziologie, dem möglichen Gegensatz zwischen Geschichts- und Sozialphilosophie und Wirklichkeitswissenschaft und der Geschichte der Soziologie unter besonderer Berücksichtigung Max Webers befasste.

 

Das vorliegende, durch fünf kleine Tabellen über Gesellschaftstypen im 19. Jahrhundert (Saint-Simon, Auguste Comte, Karl Marx, Ferdinand Tönnies, Emile Durkheim) und die Rüstungsproduktion Großbritanniens 1914-1918, die Jahresproduktion der französischen Schwerindustrie 1913-1918, die Rüstungsproduktion Österreich-Ungarns im ersten Weltkrieg und die Industrieproduktion Russlands 1913-1917 sowie ein Schaubild über die Steuerung der gewerblichen Wirtschaft im Dritten Reich veranschaulichte Werk gliedert sich nach Vorwort und Einleitung in drei Sachkapitel. Sie betreffen den kriegerischen Gesellschaftstypus, kriegsgesellschaftliche Transformationsprozesse im ersten Weltkrieg sowie die stalinistische Sowjetunion und das Dritte Reich als Extremfälle der kriegsgesellschaftlichen Moderne (in welchem mindestens zweiten der im Untertitel genannten großen Kriege?) und führen ihn zu dem Ergebnis, dass das Bild der modernen Gesellschaft, das die Soziologie transportiere, missverständlich sei, weil es eine rein zivile Entwicklung unterstelle und dabei die strukturbildenden Effekte großer Kriege unterschlage. Im Ergebnis wird dem Geschichte und Sozialwissenschaft zum gegenseitigen Nutzen verbindenden Verfasser darin beizustimmen sein, dass große Kriege in geschichtlicher Betrachtung von großer soziologischer Auswirkung sein können, doch scheint es nicht ausgeschlossen, dass manche zwischen 1914 und 1918 eingetretene Entwicklung in anderer Form auch ohne den ersten Weltkrieg möglich gewesen wäre und dass andere große Kriege auch abweichende Auswirkungen gehabt haben können.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler