Kertai, Benjamin, Sicherheit, Risiko und Opferschutz. Anlässe der Strafgesetzgebung und Möglichkeiten wissenschaftlicher Einflussnahme (= Criminalia 57). Lang, Frankfurt am Main 2014. 340 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Recht ist von seinen Anfängen an ähnlich dem Menschen zunächst langsam, später aber immer stärker zunehmend gewachsen. Ein formaler Grund hierfür dürfte neben der Vermehrung und Arbeitsdifferenzierung der Gesellschaft auch die Professionalisierung der Gesetzgebungstätigkeit seit dem 19. Jahrhundert sein. Damit sind die tatsächlichen Anlässe der Gesetzgebung insgesamt und die dabei zumindest denkbaren Möglichkeiten wissenschaftlicher Einflussnahme aber noch nicht wirklich aufgedeckt, weil „unsere Kenntnisse über die Strafgesetzgebung einerseits erheblich und andererseits gezeichnet von einer erstaunlichen Kargheit an ausführlichen Untersuchungen sind“.

 

Dem will der nach dem Studium der Rechtswissenschaft in München und Aix-en-Provence und einer anschließenden Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Institut für die gesamten Strafrechtswissenschaften der Universität München als Staatsanwalt in München wirkende „promovierte Volljurist“ abhelfen. Seine vorliegende Dissertation gliedert sich nach einer kurzen Einleitung in sechs Abschnitte. Sie betreffen den wissenschaftlichen Kontext der Gesetzgebungswissenschaft und der Forderung nach einer rationalen Kriminalpolitik, die Untersuchung der Anlässe der Gesetzgebung an den Beispielen der §§ 238 StGB, 52a WaffG, 89a StGB), die Analyse und Diskussion der aufgefundenen Problemimpulse (Risiko und Sicherheit, Opferschutz), Ergebnisse der Strafgesetzgebung (zwei Arten beabsichtigter Vorverlagerung), der Bezug von Sicherheit, Risiko und Opferschutz zur Vorfeldkriminalisierung mittels abstrakter Gefährdungsdelikte und einen Ausblick auf Gegentendenzen.

 

Im Ergebnis kann der Autor überzeugend feststellen, dass es in der untersuchten Gesetzgebung neben einer Tendenz zur quantitativen Vermehrung strafrechtlicher Verbote auch eine Tendenz zu einer qualitativen Ausweitung gibt. Demgegenüber hält er es mit guten Gründen für an der Zeit, dass die Strafrechtswissenschaft auch dem Gesetzgeber eine eindeutige Antwort auf die Frage geben kann, wann ein Verhalten unter Strafe verboten werden soll und wann nicht. Eine solche Antwort muss nach seinen Schlussworten der relevanteste Gegenstand einer (Anlässe und Ergebnisse erkundenden) Strafgesetzgebungswissenschaft sein, was über das Strafrecht hinaus aber eigentlich für alle Bereiche des Rechtes und der Rechtswissenschaft gelten sollte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler