Kausen, Ernst, Die Sprachfamilien der Welt. Teil 1 Europa und Asien, Teil 2 Afrika – Indopazifik – Australien – Amerika. Helmut Buske Verlag, Hamburg 2015. 1039, 1258 S., Karten. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Die Sprache ist das besondere Unterscheidungsmerkmal des Menschen gegenüber allen anderen Organismen. Deswegen hat grundsätzlich jeder Mensch mindestens eine Sprache. Dementsprechend sollte das vorliegende gewichtige Werk viele (deutschsprachige) Menschen interessieren und als Leser finden.

 

Freilich ist nicht nur der Gegenstand ungewöhnlich umfassend und komplex, sondern steht auch sein Bearbeiter bisher leider nicht im Zentrum der philologischen Aufmerksamkeit. In Rheinhausen bei Duisburg 1948 geboren, studierte er in Gießen und Hannover Mathematik, Physik und Informatik und wurde in Hannover 1976 in der Mathematik im Bereich der komplexen Analysis bei Wolfgang Rothstein mit einer Dissertation über Maximumprinzip, Kapazität und Fortsetzung analytischer Mengen zum Dr. rer. nat. promoviert. Gleichzeitig absolvierte er jedoch in Göttingen von 1972 bis 1976 ein Studium der Ägyptologie, Altorientalistik und vergleichenden Sprachwissenschaft.

 

Von 1977 bis 1982 wirkte er als Manager der Informationstechnologie eines weltweit tätigen Unternehmens der Vereinigten Staaten von Amerika und von 1982 bis 2014 als Professor für Mathematik und theoretische Informatik an der Technischen Hochschule Mittelhessen. Neben mathematischen Werken legte er dieser Zeit in Sammelbänden Texte aus der ägyptischen Umwelt des Alten Testaments vor. Auf dieser individuellen Grundlage veröffentlichte er schließlich im Jahre 2012 eine Darstellung der indogermanischen Sprachen im Umfang von 780 Seiten.

 

An sie schließen die beiden großen, nach mehr als fünfzehnjähriger systematischer Vorbereitung vorgelegten Bände über die Sprachenfamilien der Welt an, die auf der Veröffentlichung des Jahres 2012 aufbauen und sie in einem erweiterten Rahmen fortsetzen. Bei ihrem Erscheinen haben sie unmittelbar das große Interesse eines ebenfalls vielseitig sachkundigen Rezensenten gefunden. Deswegen genügt es an dieser Stelle, mit wenigen Sätzen auf sie hinzuweisen.

 

Gegliedert sind sie nach dem kurzen Geleitwort des unterstützenden Privatdozenten für altaische Sprach- und Kulturwissenschaft Stefan Georg in Bonn, dem Vorwort des Verfassers, verschiedenen Verzeichnissen und einer Einleitung über Sprachfamilien einschließlich einer globalen Sprachstatistik für Europa und Asien in die 14 Sprachfamilien indogermanische Sprachen, Baskisch, altmediterrane Sprachen, kaukasische Sprachen, altorientalische Sprachen, uralische Sprachen, paläosibirische Sprachen, altaische Sprachen mit Koreanisch und Japanisch, Burushaski, Kusunda und Nahali, drawidische Sprachen, sinotibetische Sprachen mit Sinitisch und Tibetobirmanisch, austroasiatische Sprachen (einschließlich Munda und Mon-Khmer), Hmong-Mien-Sprachen und Tai-Kadai-Sprachen sowie für Afrika (einschließlich des Semitischen), den Indopazifik, Australien und Amerika in ähnlich viele Sprachgruppen von den afroasiatischen Sprachen bis zu den südamerikanischen Sprachen, Makrofamilien und Pidginsprachen, Kreolsprachen und Hybridsprachen. Die Grundstruktur der Darstellung ist in den Kapiteln zu den einzelnen Sprachfamilien bzw. isolierten Sprachen (mit gewisser Ausnahme des bereits 2012 umfangreicher dargestellten Indogermanischen) grundsätzlich jeweils gleich (Übersicht über die interne Struktur und geschichtliche Entwicklung der jeweiligen Sprachfamilie, Forschungsgeschichte und Klassifikationsgeschichte, Diskussion möglicher externer Beziehungen, soziolinguistische Daten, sprachliche Kennzeichnung an Hand von Typologie, Phonologie, Morphologie und Syntax, grammatische Beschreibung ausgewählter Einzelsprachen). Schon von dieser Vielfalt her verdient das beeindruckende, durch Karten und Tabellen veranschaulichte sowie durch Register leserfreundlich aufgeschlossene Werk aus seiner Zielgruppe viele „sprachinteressierte Laien“, die ohne Fachstudium sich für die Geschichte und die Struktur der Sprachen begeistern können.

 

Erfahren können die Nutzer (auf Grund einer aktuellen Momentaufnahme zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach Vorveröffentlichungen durch Ernst Kiecker 1931, Wilhelm Schmidt 1926, Franz Nikolaus Finck 1909, Friedrich Müller 1876-1888 und A. Meillet/M. Cohen 1924), welche rund 6000 lebenden und rund 1000 (infolge schriftlicher Dokumentation noch bekannten) toten Sprachen (bei etwa 170 bislang als isoliert angesehenen Sprachen insgesamt und vielleicht 130 Sprachfamilien) es auf der Erde (bei oder trotz einem rasanten gegenwärtigen Sprachsterben) gibt, wie sie heißen, wie sie örtlich verteilt sind und warum sie wie in Gruppen von Nähe oder Verwandtschaft eingeteilt sind. Zusätzlich zeigt der Verfasser auch vorzüglich die Möglichkeiten der Verschiedenheit menschlicher Sprachen, die einerseits ganz ohne Morphologie auskommen oder andererseits eine überraschend große Formenvielfalt aufweisen können.

 

In jedem Fall hat sich der ein Lesebuch und ein Nachschlagewerk gleichzeitig anstrebende Verfasser durch seine Sammlung zahlreicher Daten und ihre systematische, ansprechend abwägende Sichtung sehr verdient gemacht. Wer immer einen Überblick über die Sprachfamilien der Welt sucht, findet ihn hier auf aktuellem, sehr gut verständlichem Stand aus einer Hand. In diesem Sinne dürfte dem mutigen Außenseiter eine ungewöhnliche Leistung gelungen sein, für die ihm unabhängig von allen Einzelheiten in jedem Fall großer Dank aller seiner Mitmenschen gebührt.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler