Holste, Karsten, In der Arena der preußischen Verfassungsdebatte. Adlige Gutsbesitzer der Mark und Provinz Brandenburg 1806-1847 (= Elitenwandel in der Moderne 14). Akademie Verlag, Berlin 2013. 326 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die von Michael G. Müller (Universität Halle) betreute Dissertation von 2010 ist im Rahmen der Projektgruppe: „Von Ständegesellschaften zu Nationalgesellschaften. Elitenwandel und gesellschaftliche Modernisierung in Ostmitteleuropa (1750-1914)“ entstanden. Hierbei geht es um die Frage, „in welcher Weise das ‚Erbe‘ ständischer Staats- und Gesellschaftstraditionen die modernen Nationalbildungsprozesse in der Region seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert prägte und welche Anteil die alten Eliten, d. h. die früheren ständischen Führungsschichten, an diesen Prozessen hatten“ (www.research.uni-leipzig.de). Thema und Fragestellung der Untersuchungen bilden die Rolle der adligen Gutsbesitzer in der Mark und Provinz Brandenburg zwischen 1806 und 1847. Im ersten Teil das Werkes schildert Holste das Auftreten der adligen Gutsbesitzer der Mark Brandenburg vor 1806 und den Verlauf der Verfassungsdebatte bis 1816 (S. 31-93). Im zweiten Teil geht es um die „Bemühungen politisch aktiver Adliger der Mark Brandenburg“, „die Diskussionen um Staatsverfassung, gesamtstaatliche Repräsentation und Provinzialstände zwischen 1815 und 1821 dazu zu nutzen, für Adel oder großen Grundbesitz eine eigenständige, von der Staatsbürokratie unabhängige politische Position auszuhandeln“ (S. 27). Die Eingaben des brandenburgischen Adels, in denen im Wesentlichen eine Restauration der altständischen Institutionen aus der Zeit vor 1806 gefordert wurden, scheiterten Anfang 1820 an der inzwischen in der Reformzeit gestärkten staatlichen Zentralverwaltung (vgl. S. 283) und an den Verfassungsplänen Hardenbergs. In der Folgezeit kam es zu einer Neuausrichtung der Verfassungspolitik, die 1821/1822 zu einem Elitenwandel und damit auch zu einer Neupositionierung adliger Grundbesitzer in der staatlichen Ordnung führten. Der Weg zu den neuen Provinzen und die Stellung der adligen Grundbesitzer im Provinziallandtag der Mark Brandenburg und des Markgrafentums in der Lausitz ist Gegenstand des dritten Kapitels (S. 203ff.). Da der Adel einschließlich der Rittergutsbesitzer im Landtag die Mehrheit hatte, konnten die adligen Grundbesitzer Brandenburgs ihre Position festigen (Aufrechterhaltung der Polizeiverwaltung und der Patrimonialgerichtsbarkeit; Einspruchsrechte gegen Gemeindebeschlüsse), ohne dass sie ihre „frühere herausgehobene politische Stellung“ (S. 161) wiedererlangten. S. 218ff. befasst sich Holste mit den Aktivitäten des Ritterstandes in den Provinziallandtagen von 1824-1845 sowie in den Kreisständen. Insgesamt hätten die Beratungen und Beschlüsse der Provinziallandtage noch detaillierter dargestellt werden sollen (vgl. hierzu Thomas Hildebrandt, Die brandenburgischen Provinziallandtage von 1841, 1843 und 1845 anhand ausgewählter Verhandlungsgegenstände, 2002). Der dritte Teil wird abgeschlossen mit dem Abschnitt „Adlige Grundbesitzer und die Neuausrichtung der Verfassungspolitik 1821. Neue politische Bedeutung“ (S. 194ff.). Adlige Grundbesitzer sahen sich zunehmend als „geborene Verteidiger einer partizipationsfeindlichen staatlichen Ordnung“ (Umschlagstext) und der „bürokratischen Herrschaftsform“ (S. 283), eine Position, die der preußische Adel auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts behielt – erst 1872 verlor er die Verwaltung der Polizei in den zu den Rittergütern zählenden Landgemeinden (S. 284). Als Fazit stellt Holste in der Zusammenfassung heraus, dass die adligen Grundbesitzer Brandenburgs „von sich historisch legitimierenden Konkurrenten staatlich-bürokratischer Herrschaftsformen“ „zu deren sich historisch legitimierenden Verteidigern“ geworden seien und sich so „in veränderten Verhältnissen politische Bedeutung“ gesichert hätten (S. 287).

 

Das Werk wird abgeschlossen mit Tabellen, die u. a. die Verteilung des ersten Standes in den Provinziallandtagen Brandenburgs von 1824 bis 1845 dokumentieren und mit einem Personenregister. Das Werk beruht zu großen Teilen auf einer Auswertung von Nachlässen brandenburgischer Adliger (u. a. von Adolph und Gustav v. Rochow). Hilfreich wäre es gewesen, wenn Holste die Wortführer des brandenburgischen Gutsbesitzeradels biografisch näher vorgestellt hätte (u. a. die Familie Rochow; hierzu u. a. Hildebrandt, aaO., S. 28ff.). Die Verknüpfung der Verfassungsdebatten des brandenburgischen Adels mit der gesamtstaatlichen Entwicklung hätte etwas breiter dargestellt werden sollen. Auch ein vergleichender Blick auf den Grundbesitzeradel in den übrigen sieben Provinzen Preußens und deren Provinziallandtagen hätte zur besseren Kennzeichnung der Entwicklungen in Brandenburg beigetragen (wie u. a. der Hinweis S. 266 darauf, dass einzig der brandenburgische Provinziallandtag keine Verfassungspetition zwischen 1841 und 1845 verabschiedet hat). Insgesamt hat Holste mit der Auswertung von Nachlässen wichtiger Adelsvertreter aus der Provinz Brandenburg einen wichtigen Quellenbereich für die brandenburgisch-preußische Verfassungsgeschichte erschlossen. Insoweit ist das Werk auch für den Rechtshistoriker, der an der Rechtsgeschichte Preußens und seiner Provinzen interessiert ist, von Wichtigkeit.

Kiel

Werner Schubert