Hinz, Moritz, Mutter- und Vaterbilder im Familienrecht des BGB 1900-2010 (= Europäische Hochschulschriften Rechtswissenschaft 5624). Lang, Frankfurt am Main 2014. 359 S. Zugleich Diss. iur. Göttingen 2014. Besprochen von Karin Neuwirth.

 

Die im Jänner 2014 bei Eva Schumann abgeschlossene Dissertation des Autors liefert sowohl eine rechtshistorisch profunde Analyse von Gesetzgebung, Rechtsprechung und rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen zum Familienrecht als auch eine gesellschafts- und geschlechterkritische Gesamtschau dieses so häufig reformierten, „volkstümlichen“ (S. 14) Teilgebiets des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Hinz will laut eigener Aufgabenstellung eine „Analyse der Kontinuitäten und Brüche des Mutter- und Vaterbildes im deutschen Recht“ (S. 15) leisten, was ihm zusammenfassend in beeindruckender Weise gelingt.

 

Nach dem einführenden ersten Teil, der knapp Aufgabenstellung, Forschungsstand und Methode klarlegt (S. 13-22), folgt der zweite Teil, der zunächst in den wichtigsten Epochenschritten das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die zugrunde liegenden Vorstellungen einer Mutter- und Vaterrolle sowie die Reformdiskussionen darstellt (S. 25-196), um dann abermals im Detail die rechtliche Entwicklung des Nichtehelichenrechts ab 1945 aufzuzeigen (S. 196-298). Die unterschiedliche juristische Ausgestaltung von ehelicher sowie unehelicher Elternschaft und der Wechselbezug zur Debatte der Geschlechtergleichheit sind Fokus der Auseinandersetzung. Den dritten Teil (S. 301-320) nimmt die zusammenfassende, analytische Schlussbetrachtung ein, gefolgt von einem beeindruckenden Literaturverzeichnis (S. 321-359).

 

Nur kursorisch sollen einige zentrale Analysen von Hinz angesprochen werden: Nach einem Aufriss der vernunftrechtlichen Positionen zu Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe sowie der Frage der unehelichen Elternschaft (Grotius, Pufendorf, Wolff, Thomasius, Martini) legt der Autor mit der Darstellung des von Fichte durchgesetzten Mutter- und Vaterbildes den Grundstein der weiteren kritischen Betrachtung. Von der philosophischen Verankerung einer überhöhten mütterlichen, triebbedingten Sorge und eines dem Vater scheinbar komplett fehlenden natürlichen Empfindens dem Kind gegenüber ist es nicht weit zur juristischen Trennung in eheliche, unter männlicher Entscheidungsgewalt stehende sowie uneheliche, unter staatlicher Kontrolle ausgeübte Mutterschaft des BGB. Die Debatten um die Einräumung der elterlichen Gewalt an die uneheliche Mutter (Planck, Pfaff, Kohler) zeigten erste Widersprüchlichkeiten auf; heftige Kritik entzündete sich insbesondere daran, dass gleichzeitig die Heiligkeit des Mutterberufes beschworen wurde, während rechtliche Regelungen das Kind vor der Unfähigkeit der Mutter schützen mussten (Menger, Bulling, Jastrow, Rothe, M. Weber, Kipp). Die Beschränkung des unehelichen Vaters auf Unterhaltspflichten wurde beinahe einhellig als sachgerecht empfunden, vor der Einbeziehung desselben in Sorgeaufgaben geradezu gewarnt. Auch die durch die Weimarer Verfassung angestoßenen Debatten zur Geschlechtergleichheit und drei Deutsche Juristentage zu familienrechtlichen Themen (1921, 1924 und 1931) brachten keine gesetzlichen Änderungen. In den Diskussionen zeigten sich insbesondere einseitige, klassenspezifische Vorstellungen von unehelicher Elternschaft, die sich scheinbar auf gut situierte Männer (mit ehelicher Familie) und moralisch leichtfertige oder naive, leicht verführbare Frauen der unteren Schichten beschränkte. So sollte zwar faktisch die soziale Situation der betroffenen Kinder verbessert werden, juristische Änderungen wurden aber als Gefährdung der Institution Ehe abgelehnt. Gerade auch Juristinnen (Cohn, Rebstein-Metzger, M. Weber) argumentierten hier konservativ, und die männlichen Referenten der Juristentage betonten den deliktischen Charakter der Unterhaltspflicht des unehelichen Vaters (als Ausgleich für Egoismus oder Ehescheu) bzw. warnten vor seinen materiellen Interessen, da ihm durch Einräumung von Erziehungsrechten und Naturalunterhalt egoistische Vorteile entstehen würden (Fallmann, Pappenheim).

 

Hinz belegt, dass dieser Debattenstand in den 1950er Jahren nahtlos weitergeführt sowie am Juristentag 1962 quasi wiederholt wurde, und so sämtliche Reformvorhaben zur Durchsetzung der Gleichheitsideen des Grundgesetzes vom Elternbild der 1920er Jahre dominiert waren. Teilweise reagierte die Judikatur noch bis in die 1970er Jahre mit Sorgerechtsentzug gegen uneheliche Mütter, die eine nichteheliche Lebensgemeinschaft mit einem neuen Partner eingingen, weil eine sittliche Gefährdung des Kindes angenommen wurde, und uneheliche Väter hatten kaum Aussicht auf die Einräumung von Umgangsrechten mit den Kindern. Auch die steigende Zahl der bewusst gewählten Lebensform der Lebensgemeinschaft mit Kindern schaffte kaum eine Änderung der vorhandenen, in Normen gegossenen Bilder. Erst psychologische Neuansätze und eine vermehrte Familienforschung (A. Mitscherlich, Fthenakis) konnten in den 1980er Jahren langsam einen Umbruch einleiten und so rechtliche Neuerungen anstoßen. Auch höchstgerichtliche Entscheidungen (Bundesverfassungsgericht 1959 – Ende des ehemännlichen Entscheidungsrechts, 1982 – Verfassungswidrigkeit der zwingenden Alleinobsorge nach Scheidung, 1991 – gemeinsame Sorge der zusammenlebenden, nicht verheirateten Eltern, 1995 – unehelicher Vater als Grundrechtsträger des Elternrechts, 2010 – Prüfung der Sorgezuteilung am Kindeswohl) mahnten mehrfach Reformen ein, die jedoch von Wissenschaft und Gesetzgebung mit Beharrlichkeit verzögert wurden.

 

Zuzustimmen ist der abschließenden Feststellung des Autors, dass die Mutterrolle im deutschen Familienrecht mehrfach (teilweise widersprüchliche) Änderungen erfuhr und schließlich durch die Idee der Geschlechtergleichheit massiv gestärkt wurde, während die sukzessive Beseitigung des patriarchalen Leitbilds (in der ehelichen Familie) keine Neudefinition der Vaterrolle mit sich brachte und quasi ein juristisches Vakuum erzeugte. Ob ein künftiges Vaterbild an einer „originär männlichen Geschlechtsrolle“ oder „einem geschlechtsneutralen, allgemeingültigen Ideal ‚guter‘ Elternschaft“ (S. 303) entwickelt wird, bleibt abzuwarten. Richtigerweise sind im gegebenen Zusammenhang aber nicht nur Berechtigungen, sondern auch Pflichten zu hinterfragen, die der Mutter vom Gesetzgeber kraft natürlicher Nahebeziehung immer auferlegt waren, beim Vater aber als Indiz einer besonderen Vaterrolle gewertet wurden (S. 317).

 

An mancher Stelle verliert Hinz in den Detailschilderungen der Darstellung die Entwicklungslinie, während andererseits Argumente wiederholt werden. Dies ist eine kleine, gleichzeitig die größte Kritik an der Arbeit, die sowohl entwicklungsgeschichtlich als auch genderspezifisch wichtige Ergebnisse liefert und hoffentlich breite Rezeption in der Frauen- und Geschlechterforschung findet. Dass die Dissertation mit Stand 2012, also vor der Neuregelung der Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern und der Neuregelung der vertraulichen Geburt, endet, ist objektiv schade. Man wäre auch auf eine aktuelle Analyse durch den Autor gespannt. Umso mehr zeigt sich die Bedeutung der rechtshistorischen Auseinandersetzung mit Aspekten des Familienrechts, bezüglich derer immer noch nach für alle Betroffenen sachgerechten Lösungen gesucht wird.

 

Linz                                                                                       Karin Neuwirth