Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, hg. v. Merten, Detlef/Papier, Hans-Jürgen. Bd. 7,1 Grundrechte in Österreich, 2. Aufl., Mithg. Kucsko-Stadlmayer, Gabriele. C. F. Müller/Manz, Heidelberg/Wien, 2014. XLIII, 949 S. Besprochen von Judith Köbler.

 

Das von Detlef Merten und Hans-Jürgen Papier herausgegebene, insgesamt auf 12 Bände bzw. Teilbände angelegte Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa ist ein umfassendes Werk, das seit 2004 erscheint. Zur Zeit sind neun Bände lieferbar. Davon konnte der erste Teil des siebten Bandes bereits 2007 veröffentlicht und nunmehr in zweiter, völlig neu bearbeiteter und vermehrter Auflage vorgelegt werden.

 

Die im Vergleich zur Vorauflage um 4 Beiträge erweiterte Auflage enthält nun 22 Beiträge in vier großen Kapiteln. Erweitert wurde vor allem der Themenbereich der allgemeinen Grundrechtslehren. Die Kapitel wurden jedoch teilweise auch neu strukturiert.

 

Teil eins des Buches beschäftigt sich mit den allgemeinen Grundrechtslehren.

 

In § 1 zeichnet Schäffer (†) sehr informativ für den kundigen und den „mit der Materie nicht vertrauten“ Leser - ohne dabei den Beitrag durch Details zu überfrachten- die historischen Grundlagen nach, wobei auch kritische Anmerkungen (wie z. B. in Randnummer 21) nicht unterbleiben. Etwas kurz fällt jedoch im Vergleich hierzu die Zusammenfassung aus.

 

In § 2 gibt Grabenwarter einen Überblick über die Grundrechtsquellen und Grundrechtserkenntnisquellen. Zunächst wird – vor allem für den nicht mit der Komplexität oder „Zersplitterung“ (s. Anm. 1 des Textes) des österreichischen Verfassungsrechts vertrauten Leser  – die verfassungsrechtliche Grundlage der Grundrechte sehr übersichtlich dargestellt. Die „schichtartige“ Beziehung zwischen den verfassungsrechtlich verbürgten, aber aus unterschiedlichen Quellen stammenden Grundrechten wird anschaulich am Beispiel der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte  im Verhältnis zum Verfassungsgerichtshof dargestellt. Instruktiv und auf den Punkt gebracht sind auch die Beispiele, die das Verhältnis des Unionsrechts zu den Grundrechten der Bundesverfassung illustrieren. Der rechtsdogmatische Ausblick zeigt die Besonderheiten – Stärken und Schwächen – des österreichischen Grundrechtsschutzes sehr klar auf.

 

In § 3 erläutert Gabriele Kucsko-Stadlmayer die allgemeinen Strukturen der Grundrechte und geht dabei eindringlich auf die besondere Begriffs- und Kompetenzproblematik in Österreich ein. Interessante – und für den interessierten Leser ausbaufähige – Ausführungen bietet sie zu Gliederung und Rangfolge der Grundrechte. Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen wird sehr praktisch anhand der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs dargestellt. Die – im Gegensatz zu Deutschland etwa – verfassungsrechtlich nicht durch eine Norm geregelte Grundrechtsverpflichtung der öffentlichen Gewalt wird trotz und in ihrer (historischen) Komplexität übersichtlich dargestellt. Das praktisch wichtige Thema das Grundrechtsbeschränkungen wird ausführlich behandelt.

 

Strejcek befasst sich in § 4 mit der Grundrechtssubjektivität, die er durchaus mit kritischem Blick beleuchtet (etwa als nicht nur als rechtsdogmatisches, sondern rechtspolitisches Thema oder hinsichtlich der Formulierung des „Jedermannsrechts“). Dabei wird  insbesondere auch der in seinen Einzelheiten  nicht unumstrittene Problemkomplex der Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen des öffentlichen Rechts  aufgezeigt.

 

§ 5 behandelt den grundrechtlichen Status der Ausländer, wobei vor allem auf die Unterschiede zwischen den aus verschiedenen Quellen stammenden Rechten bei den politischen und wirtschaftlichen Grundrechten sowie den Gleichheitsrechten aufmerksam gemacht wird.

 

Dem Problemkreis der Dritt- und Fiskalgeltung ist der nächste Beitrag in § 6 gewidmet. Sehr methodisch wird die Ablehnung der unmittelbaren Drittwirkung und die Annahme der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte in Theorie und Praxis gezeigt. Dem wird – ebenfalls in Theorie und Praxis – das  Instrument der Fiskalgeltung teilweise gegenübergestellt. Die Zusammenfassung ermöglicht leicht auch ein schnelles Querlesen.

 

§ 7 behandelt Institutsgarantien und institutionelle Garantien, wobei zunächst die Begrifflichkeiten und der positive wie gegebenenfalls auch negative Bedeutungsgehalt (z. B. Abschaffung der Todesstrafe) problematisiert werden. Im Anschluss werden einzelne, wichtige Einrichtungsgarantien wie Ehe (insbesondere bezüglich des Komplexes einer gleichgeschlechtlichen „Ehe“), Familie, elterliches Erziehungsrecht (und religiöse Symbole), Recht auf Bildung, die  (bloße) Staatszielbestimmung des  Schutzes der Volksgruppen sowie die gemeindliche Selbstverwaltung dargestellt.

 

Ausführlich zeigt Eberhard in § 8 anhand von Beispielen die Konkurrenz- und Kollisionslage für die komplexen Strukturen österreichischer Grundrechte auf und hebt sie so eindeutig aus ihrem „Schattendasein (s. Anmerkung 1 des Textes) hervor.

 

In dem zweiten Teil des Buchs werden Freiheit, Gleichheit und justizielle Garantien behandelt.

 

Sehr systematisch, prägnant und klar in der kritischen Würdigung erörtert Kneihs hier den Bereich „Schutz von Leib und Leben“. Er argumentiert dabei vielfach unter Angabe des (fremdsprachigen) Wortlauts und erläutert insbesondere die österreichische Problematik um den Begriff der Menschenwürde sehr informativ.

 

Mit einer interessanten historischen Einleitung und großer Aktualität besticht der in §10 befindliche Beitrag Wiederins, der die Privatsphäre in ihrer Vollumfänglichkeit – abwehrrechtlich wie schutzverpflichtend – darstellt.

 

In § 11 werden die Freiheit und die Freizügigkeit kompakt und anschaulich erläutert. Besonders spannend für den Leser ist die problematische Rechtslage zum Verbot der Auslieferung und Durchlieferung österreichischer Staatsbürger.

 

Das angesichts der österreichischen Geschichte besonders sensible Thema der Religionsfreiheit wird von Lienbacher in § 12 gut aufbereitet. Er widmet sich dabei sehr aktuellen Themen (z. B. dem sog. Kopftuchverbot) und unterzieht diese einer durchaus kritischen Würdigung.

 

Unter dem Dach kultureller Rechte zeigt Kröll die verschiedenen Aspekte der Bildung – von Schulunterricht bis wissenschaftliche Forschung – auf. Ausführlich geht er auf die erst 1982 verfassungsrechtlich verankerte Kunstfreiheit ein.

 

Der große Bereich der Gleichheitsrechte wird von Pöschl in § 14 in mehreren allgemeinen Abschnitten (Grundrechtsberechtigte, Bindung des Gesetzgebers, Differenzierungs- und Sachlichkeitsgebot, Bindung der Vollziehung) behandelt, bevor sie sich in vielschichtiger Weise  besonderen Gleichheitssätzen (z. B. Diskriminierungsverboten) widmet.

 

Holoubek befasst sich in § 15 mit den Strukturen der Kommunikationsfreiheit. Er geht in diesem Kapitel insbesondere auch auf den Persönlichkeitsschutz ein. Die Besonderheiten der Rundfunkfreiheit werden von ihm kritisch analysiert.

 

In § 16 legt Korinek sehr systematisch die „Schichten“ (s. Anm. 1 des Textes) der wirtschaftlichen Freiheiten dar. Ausführlicher widmet er sich dabei dem Recht auf Eigentum (v. a. auch den Schranken, Eingriffen und Rechtfertigungen) und der Erwerbsfreiheit.

 

Potacs behandelt im anschließenden Beitrag die Vereins-, und Versammlungsfreiheit, das Streikrecht und die politischen Parteien. Er geht hierbei in kompakter Weise vor und zeigt auch Schwächen der zum Teil inhaltlich noch nicht ausreichend konkretisierten Rechte auf.

 

§ 18 hat grundrechtliche Organisation- und Verfahrensgarantien zum Gegenstand. Neben einer Abgrenzung zu anderen Themen und der rechtsstaatlichen Basis werden der Anspruch auf den gesetzlichen Richter, das materielle Anklageprinzip, und die Bedeutung des Rechts auf ein faires Verfahren behandelt. Danach werden insbesondere die Rechte im Strafverfahren von Klaushofer noch ausführlich dargestellt.

 

Teil drei des Buches befasst sich mit politischen und sozialen Rechten sowie dem Minderheitenschutz.

 

Strejcek behandelt in § 19 die – zumeist im Gegensatz zu den übrigen Rechten großteils den Staatsbürgern vorbehaltenen – politischen Rechte (österreichische Besonderheiten wie das unterschiedliche aktive und passive Wahlalter etwa) und weist dabei auch auf Probleme, aber auch auf künftige Entwicklungsperspektiven hin.

 

§ 20 enthält sehr interessante Ausführungen zur (Nicht)Verankerung sozialer Grundrechte in der österreichischen Bundesverfassung. Dabei werden die historischen Ursachen und Reformdiskussionen ebenso dargestellt wie die internationalen Verpflichtungen, landesverfassungsrechtliche „Ausnahmen“ (z. B. in Salzburg) und das Für und Wider sowie mögliche Inhalte sozialer Grundrechte.

 

Kolonovitz beschreibt in § 21 den sich aus vielen verschiedenen Normen zusammensetzenden Minderheitenschutz. Er behandelt dabei den Begriff der autochthonen Volksgruppen ebenso wie die Diskriminierungsverbote und die positiven Förderbestimmungen. Er geht insbesondere auf die Sprachenproblematik (z. B. Elementarunterricht, topographische Bezeichnungen) ein.

 

Teil vier befasst sich schließlich mit der Durchsetzbarkeit der Grundrechte. Jahnel behandelt in § 22 Themen wie die Veränderungen der Grundrechtsverbürgungen, Rechtsbehelfe vor dem Verfassungsgerichtshof oder den Grundrechtsschutz durch die ordentliche Gerichtsbarkeit. Zum Schluss erörtert er auch das Verhältnis zwischen dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Verfassungsgerichtshof ein.

 

Das Buch ist für sachkundige Spezialisten ebenso geeignet wie für den mit den Einzelheiten noch nicht so vertrauten Leser. Es lässt sich als Nachschlagewerk und als Grundlagenwerk verwenden. Insgesamt lässt es den Leser mit vielen neuen Informationen, aber vor allem auch neuen Denkanstößen zurück, so dass es vermutlich in absehbarer Zeit auch zu einer dritten Auflage finden kann.

 

Wien                                                   Judith Köbler