Hammerschmidt, Peter, Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 555 S. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Bei der Studie handelt es sich um die bearbeitete Fassung einer Dissertation, die 2014 an der Universität Mainz abgeschlossen wurde. Betreut wurde der Autor durch den Historiker  Michael Müller. Die VolkswagenStiftung zeichnete die Arbeit im November 2014 mit dem hochdotierten Förderpreis Opus Primum als beste wissenschaftliche Nachwuchspublikation 2014 aus. Im September 2010 öffneten sich für den Autor als erstem historischen Forscher die Bestände des BND-Archivs in Pullach. Vorangegangen war ein zukunftsweisender Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (B. vom 19. 4. 2010, 20 F 13.09, NVwZ 2011, 880), der einer Journalistin ermöglichte, Akten zu Adolf Eichmann aus dem Bestand des BND einzusehen.

 

Für die Arbeit hat der Autor mit großem Sucheifer sich die Quellen bei den unterschiedlichsten Aktenbeständen erschlossen. Wäre die Strafverfolgung der späten 50er Jahre nur ein wenig so einfallsreich bei der Quellensuche gewesen wie der Autor, so müsste heute nicht so sehr über den mangelnden Verfolgungseifer dieser Zeit geklagt werden. Natürlich stehen heute allein wegen der besseren Erschließung viele Quellen zur Verfügung, die um 1960 verschlossen waren, dennoch zeigt die Arbeit zu welchen Ergebnissen ein engagiertes Quellen Suchen und Quellen Auswerten, eigentlich die Grundaufgabe aller Historiker, führt. Durch die gesamte Arbeit zieht sich als Leitmotiv die vornehmste Pflicht des Historikers, die Objektivität, wenn auch der Autor seine eigene ethische Position an keiner Stelle verleugnet.

 

In der klar strukturierten Arbeit schildert der Autor am Anfang das Leben Barbies in den Jahren bis 1945. Früh trat Barbie in den Sicherheitsdienst der SS ein und durchlief dort die vorgesehene Ausbildung der Nachwuchsführungskräfte. Seine 'Tätigkeit' ab 1940 in den Niederlanden brachte ihn nach dem Kriegsende auf die Suchliste nach Verbrechern. Für die Zeit von Juli 1941 bis März 1942 ist sein Aufenthalt nicht belegbar; eigenen Angaben aus dem Jahre 1979 zufolge will er in dieser Zeit 'in Russland Widerstandsgruppen und Partisanen' (S.36) bekämpft haben. Diese Bezeichnung wurde damals benutzt, um auch Massenerschießungen von Juden zu umschreiben. Ab Mai 1942 war er in Frankreich und dort wurde er im November 1942 Chef der Gestapo in Lyon. Seine brutalen Verfolgungsmethoden trugen ihm die Bezeichnung Schlächter von Lyon ein. Die Schilderung der Zeit in Frankreich und die anschließende Zeit bis zum Kriegsende, das er im Rheinland erlebte, zeigt ihn als Fanatiker, der bis zuletzt das Seine tun wollte, um eine Niederlage abzuwenden. Die Zeit zwischen 1945 und 1947 verbrachte er mit Unterstützung anderer SS-Leute in Nordhessen. Bereits zu dieser Zeit lagen der französischen Regierung zahlreiche Aussagen zu seinen Verbrechen in Lyon vor. Auf der ca. 70.000 Namen umfassenden Liste CROWCROSS von gesuchten NS-Verbrechern im Juni 1948 fand sich auch Barbies Name. Detailreich geschildert wird dann die Tätigkeit für den CIC in den Jahren 1947 bis 1951. Interessant ist dabei die Angabe eines CIA-Mitarbeiters in den späten 70er Jahren: 'Ich glaube, daß unser Bild vom Zweiten Weltkrieg heute sich sehr stark von dem Bild unterscheidet, das wir kurz nach dem Kriege hatten.' Aus dieser Einstellung heraus wurden Personen wie Barbie als Unterstützer gegen ein Vordringen der UdSSR genutzt und geschützt, so dass nach ihren begangenen Verbrechen wenig geforscht wurde. Anfang 1951, als in Deutschland der Verfolgungsdruck zu groß wurde, trat er mit seiner Familie die Flucht nach Bolivien an. Die Reise arrangierte die CIC in Verbindung mit dem Combined Travel Board. Vor Antritt der Reise nahm er den Falschnamen Karl Altmann an. Grund für die Unterstützung war, dass er ‚von großem Interesse für U.S.Geheimdienst ist'. Ab dem 9. 3. 1951 ging die Reise über Salzburg und Genua, wo er ein Dokument des Internationalen Roten Kreuzes erhielt, mit dem er ein Einreisevisum für Bolivien erlangte, und weiter nach Bolivien, wo er am 23 .4. 1951 ankam. Die Einzelheiten der Zusammenarbeit von CIC, CIA und der Organisation Gehlen bei dieser Reise sind sorgfältig quellenmäßig belegt, wenn auch wesentliche Akten schon im Jahre 1951 vernichtet wurden, bevor sie wie andere Akten dieser Zeit verfilmt werden konnten. Kaum ist anzunehmen, dass die Hilfe der Geheimdienste zur Flucht allein dem Zweck diente, das Wissen Barbies über die amerikanischen Geheimdienstaktivitäten nicht nach Frankreich gelangen zu lassen, was bei einer Überstellung zu erwarten gewesen wäre. Andererseits ist nicht belegbar, dass Barbie in Bolivien weiterhin mit einem US-Geheimdienst zusammenarbeitete. Die schwer durchschaubare innenpolitische Situation Boliviens ist kenntnisreich beschrieben. Die wirtschaftlichen Interessen verschiedener deutscher Großunternehmen in diesem Land werden in einer Weise offenbart, wie sie selten beschrieben wurden. In diesem Dunstkreis bediente man sich höchst zweifelhafter Personen, die dann, als in den 60er Jahren der BND seinen Wirkungskreis in Südamerika ausbaute, auch Kontakt zu diesem Dienst erhielten. Sagt man gelegentlich bei Romanen, sie seien spannend von der ersten zur letzten Seite, so trifft dies auch auf diese Arbeit zu, die einen seltenen Einblick in die Methoden der in einem Geheimdienst tätigen Menschen gewährt. Für den Wunsch, die Arbeit der für die Bundesrepublik Deutschland tätigen Dienste in einem Abstand von 50 Jahren durchschaubar zu machen, ist diese Untersuchung ein wichtiger Beitrag. Selbstverständlich ist die damalige Arbeit der Dienste vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Ost-West-Interessengegensatzes zu sehen, dennoch sollten ethische Grundprinzipien bei der Rekrutierung von Mitarbeitern und bei der Unterstützung von Regierungsstellen niemals aus dem Blickwinkel geraten. Nicht jeden Feind des Gegners muss man als seinen Partner nehmen. Erschrecken lässt die Art, wie Regierungsstellen dagegen wirkten, dass Barbie zu einem Gerichtsverfahren nach Deutschland ausgeliefert wurde, stattdessen erhofften sich diese Stellen eine Schadensminderung durch seinen Prozess in Frankreich. Die Darstellung dieser Interessengegensätze ist überaus gelungen. Sie zu schildern ist nicht Aufgabe dieser Rezension, das muss man selber lesen. Der Abschnitt über die Aktivitäten des internationalen Netzwerks nach Barbies Verhaftung zeigt eine seltsame Allianz, die extreme Rechte ebenso umschloss wie Linke. In einem Kampf gegen westliche Nachrichtendienste waren 'Carlos' und Alois Brunner von Syrien wohl einer Meinung, wenn sie auch schließlich keinen Erfolg hatten, Barbie starb 1991 in französischer Haft in Lyon.

 

Dem Textteil (bis S. 385) folgt ein sorgfältig gearbeiteter Anmerkungsteil (S.389-501), der es erlaubt, alle Tatsachenschilderungen des Autors und die gezogenen Folgerungen quellenmäßig belegt nachzuprüfen. Die ausgewerteten Quellen (S.502-517) aus Archiven, Interviews, Parlamentsdrucksachen, Internet- und andere Medienquellen sind beeindruckend und zeugen von einem ebenso großen Einfallsreichtum bei der Erschließung von Quellen wie auch bei ihrer Nutzung. Würde ein solcher Quellenreichtum von einer Arbeitsgruppe vorgelegt, wäre dies schon ein Zeichen guter Arbeit, als Ergebnis einer Arbeit eines Einzelnen, der zwar verschiedene Gesprächspartner hatte, aber dennoch die Hauptlast der Arbeit trug, ist es großartig. Das Literaturverzeichnis (S.518-532) zeigt, dass sich der Autor mit der für das Thema maßgeblichen Literatur befasst hat. Fast überflüssig zu erwähnen ist, dass ein Personenregister die Arbeit abschließt. Das nicht geringste Verdienst der Arbeit ist es, dass sich der Autor nicht in der Vielzahl der Informationen verliert und Unwesentliches auswalzt, und seine gesamte Arbeit in überaus lesbarer Sprache darbietet.

 

Gäbe es doch mehr so qualifizierte Doktorarbeiten!

 

Neu-Ulm                                                                                                       Ulrich-Dieter Oppitz