Groten, Andreas, corpus und universitas. Römisches Körperschafts- und Gesellschaftsrecht – zwischen griechischer Philosophie und römischer Politik (= Ius Romanum 3). Mohr (Siebeck), Tübingen 2015. XV, 479 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Römer hatten, auch beflügelt durch die Griechen, bereits viele Errungenschaften, die selbst in der Gegenwart noch bedeutsam sind. Da Körperschaft und Gesellschaft als wesentliche Rechtsfiguren des modernen Lebens unabdingbar sind, drängt sich die Frage nach antiken Vorläufern wie von selbst auf. Ihr geht der Verfasser in seiner von Martin Avenarius betreuten, von der Hanns-Seidel-Stiftung geförderten und im Wintersemester 2012/2013 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln angenommenen Dissertation eindringlich nach.
Gegliedert ist die beeindruckende Untersuchung nach einer Einleitung über Fragestellung, Stand der Forschung, den römischen Juristen und seine Umgebung sowie die Ausgangsstelle im dritten Buch des Gaius zum Provinzialedikt (D. 3. 4. 1) über corpus habere und universitas in fünf Abschnitte. Sie betreffen die Entwicklung des universitas-Begriffs, den Personenverband als corpus, die Genehmigung der Vereinsgründung, die rechtliche Ausgestaltung der Personenverbände, die justinianische Kodifikation mit einer neuen Lösung eines alten Problems und in der ältesten Schicht die Analogie zur Gemeinde. Auf dieser Grundlage teilt der Verfasser am Ende die Entwicklung des römischen Rechtes der Personenverbände in fünf zeitlich einander folgende Entwicklungsstufen ein.
Sie ergeben sich daraus, dass sich bereits bei Gaius in der Einleitung seines Kommentars zur den Regelungen des Provinzialedikts über die prozessuale Vertretung der Personenverbände die Nachwirkungen zweier Entwicklungsstufen der Behandlung der Personenverbände durch die römischen Rechtskundigen nachweisen lassen. Zusätzlich kann er drei weitere Entwicklungsstufen aufzeigen. Dabei kann freilich nur ein Modell mit fließenden Übergängen angenommen werden.
Die früheste erschließbare rechtliche Konstruktion privater Personenverbände durch die römischen Rechtskundigen ist in diesem Rahmen die analoge Übertragung der Strukturen öffentlich organisierter Personen, die sich spätestens auf das dritte vorchristliche Jahrhundert datieren lässt. Statt einer theoretischen Durchdringung begnügt man sich aber mit der analogen Anwendung der bereits weiter entwickelten Regelungen für öffentliche Verbände auf private Verbände. Allerdings wurde nach dem Verfasser bereits seit dem Zwölftafelgesetz die innere Ordnung privater Personenverbände anerkannt, solange sie nicht der des Gemeinwesens entgegenstand.
Nach der Innenorganisation vertraten in der Regel magistri als Repräsentanten die Mitglieder (populus, plebs) nach außen. Es gab ein an die Gemeinschaft gebundenes Vermögen (pecunia communis), von dem die Ausgaben für gemeinschaftliche Handlungen geleistet werden konnten. Auf diese Weise konnten die Personenverbände an dem Rechtsverkehr ohne tiefere Auseinandersetzung über ihr Wesen teilnehmen, ohne dass allerdings überliefert ist, wie weit die angenommene Analogie reichte und auf welche Weise die Verbände an dem Rechtsverkehr Teil hatten.
Vielleicht seit der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts begannen römische Rechtskundige das geltende Recht unter griechischem Einfluss systematisch darzustellen und zu erklären, wobei sie sich auch mit dem Wesen der Personenverbände auseinandersetzten. Dabei ging man von zu einem Gesamtkörper verbundenen Einzelteilen aus. Bereits in der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts ist corpus die aus getrennten Einzelteilen bestehende Einheit. In der Folge sieht der Verfasser die Personenverbände an der Wende zum ersten vorchristlichen Jahrhundert als einheitliche Gesamtkörper im Recht und als solche rechtsfähig und handlungsfähig.
Nach dem Verfasser untergrub dann die akademisch-skeptische Kritik die stoische Grundlage des Konzepts der Gesamtkörper bis zur Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts Danach wurden die aus getrennten Einzelkörpern bestehenden Gesamtkörper nicht mehr als ontologische Tatsache, sondern nur noch als begriffliche Kategorie anerkannt. Erst die Anerkennung durch die Rechtsordnung in Form einer Genehmigung oder der Verleihung bestimmter Rechte durch Volksgesetze, Senatsbeschlüsse oder kaiserliche Rechtsakte bestimmte nun die Personenverbände als Einheit so hinreichend, dass sie als Einheit im Recht eine Existenz erlangten.
Nach dem Verfasser eröffnete die Konzentration auf die abstrakte Konstruktion der Personenverbände im Recht unter einem Begriff (nomen) den Weg zu einer weiteren Abstraktion von dem personalen Substrat. Diese Entwicklung fand in der Zeit der Severerkaiser im Bereich der öffentlichen Verbände ihren Abschluss. Dabei blieb ein öffentlicher Personenverband (universitas) auch mit einem einzigen Mitglied noch bestehen.
Spätestens aber in der Zeit der Severerkaiser konnte corpus (Körper) einer der Begriffe sein, unter denen Personenverbände zur Einheit eines Körpers (corpus) organisiert werden konnten. Mit dem Zuwachs der Bedeutung der zunächst staatlich geförderten, später auch in die Verwaltung des Reiches eingebundenen wirtschaftlichen Vereinigungen schwand die Bedeutung der alten unter dem Begriff des Vereins gegründeten Verbände Zugleich stellten die aus dem Nebeneinander von Körper (corpus) als Begriff, unter dem wirtschaftliche Verbände gegründet wurden, und dem ursprünglichen Konzept des einen Körper haben (corpus habere) ergebenden terminologischen Spannungen die Rechtskundigen seit der severischen Zeit vor eine Schwierigkeit. Sie wurde nach dem Verfasser dadurch gelöst, dass in dem dritten nachchristlichen Jahrhundert und später die an den Körper der Personenverbände anknüpfenden Rechtsstellungen als ius (Recht) des Personenverbands bezeichnet wurden.
Demgegenüber wandte sich Justinian wieder der klassischen Terminologie des corpus habere zu und gab die Lösung des Rechtes (ius) des Personenverbands auf. Danach wurde universitas als Oberbegriff für alle öffentlichen und privaten Personenverbände verwendet. Die Einheiten wurden als Rechtssubjekte anerkannt. Das klassische Konzept des corpus habere (einen Körper haben) diente nach den ansprechenden, die verwickelten Verhältnisse mutig angehenden Ausführungen des Verfassers dafür nur noch als Begründung, ohne dass es noch eine große Rolle in der Beantwortung einzelner Rechtsfragen gespielt hätte.
Innsbruck Gerhard Köbler