Grieß, Martin, „Im Namen des Rechts“. Der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone als Höchstgericht in Zivilsachen zwischen Tradition und Neuordnung (= Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 86). Mohr Siebeck, Tübingen 2015. XVIII, 420 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Mit der Kapitulation des Deutschen Reiches vom 8. Mai 1945 ging die tatsächliche Gewalt auf die vier alliierten Besatzungsmächte in ihren einzelnen Besatzungszonen über. Das Reichsgericht in Leipzig wurde am 19. April 1945 bzw. nach der Bildung einer Kommission zur Bewahrung der Sachwerte des Reichsgerichts innerhalb der sowjetischen Besatzungszone am 8. Oktober 1945 geschlossen. Wegen des Fehlens eines Höchstgerichts bis zur Gründung des Bundesgerichtshofs am 1. Oktober 1950 wurde für die Zeit zwischen 1948 und 1950 für die britische Besatzungszone der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone geschaffen, für den Werner Schubert 2010 ein Nachschlagewerk veröffentlichte.

 

Die vorliegende Untersuchung ist die von Hans-Peter Haferkamp betreute, im Rahmen des Projekts Justiz im Systemwechsel erstellte, im Wintersemester 2014/2015 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln angenommene Dissertation des 1987 geborenen, nach dem Studium in Bonn als wissenschaftlicher Mitarbeiter an dem Institut für neuere Privatrechtsgeschichte, deutsche und rheinische Rechtsgeschichte der Universität zu Köln tätigen, 2015 seine juristische Ausbildung mit der zweiten juristischen Staatsprüfung abschließenden Verfassers. Sie gliedert sich insgesamt in acht Kapitel. Sie betreffen Vorüberlegungen (Fragestellung, Quellengrundlage, Forschungsstand und Desiderat), die Vorgeschichte des Obersten Gerichtshofs, die rechtlichen Rahmenbedingungen, die tatsächlichen Rahmenbedingungen, das Richterpersonal (9 Richter - Berger, Delbrück, Erman, Kuhn, Pritsch, Strack, Fritz von Werner, Wilde, Ernst Wolff - , 7 Hilfsrichter, zwei wissenschaftliche Mitarbeiter), die Rechtsprechung in Zivilsachen und das Ende des Obersten Gerichtshofs sowie eine Zusammenfassung.

 

Im Ergebnis stellt der Verfasser fest, dass eine Beschränkung der deutschen höchstrichterlichen Zivilrechtsprechungstradition des 20. Jahrhunderts auf das Reichsgericht und den Bundesgerichtshof zu kurz greift. Die personelle Anknüpfung des Gerichtshofs an das Reichsgericht erschöpfte sich unter den Zivilrichtern darin, dass ein Enkel des ersten Reichsgerichtspräsidenten an der Spitze stand, während alle teilweise der Rechtsanwaltschaft entnommenen Richter politisch weitestgehend unbelastet und insoweit unangreifbar waren. In der Rechtsprechung grenzte der Gerichtshof sich deutlich von seinem geschichtlichen Vorbild und der nationalsozialistisch gefärbten Spätphase (z. B. Klage auf Feststellung der blutmäßigen Abstammung) ab.

 

Insgesamt kann der Verfasser damit den Obersten Gerichtshof für die Britische Zone als einen wichtigen Baustein der deutschen höchstrichterlichen Zivilrechtsprechungstradition kennzeichnen, der nicht nur Bindeglied zwischen Reichsgericht und Bundesgerichtshof war, sondern auch ein Höchstgericht, das außer im Strafrecht auch im Zivilrecht „unter schwierigen Rahmenbedingungen die Fahne der Rechtsstaatlichkeit wieder aufrichten half“. Zwar bestand es nur während kurzer Zeit, doch lässt sich diese mit den Schlussworten des Verfassers als Episode „im Namen des Rechts“ einordnen. Wer immer sich mit der deutschen Justiz in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg befassen wird, wird auf den auf vielfältigen Quellen beruhenden und zu weiterführenden Einsichten gelangenden, durch ein Gesetzesverzeichnis und ein Sachregister von Abstammung bis Zwangsarbeiter abgerundeten Baustein des Autors zurückgreifen können.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler