Glossar zur Buch’schen Glosse, hg. v. Kaufmann, Frank-Michael/Neumeister, Peter, 3 Teilbände (= Monumenta Germaniae Historica, Fontes iuris Germanici antiqui, Nova series Band 10). Harrassowitz, Wiesbaden 2015. XXXIII, VI, VI, 1-462, 463-1058, 1059-1684 S. Besprochen von Andreas Deutsch.

 

Der Sachsenspiegel (um 1224/35) ist bekanntlich das bedeutendste Rechtsbuch des deutschen Mittelalters. Die um 1330 entstandene Sachsenspiegel-Glosse des Johann von Buch wiederum ist der erste und wichtigste (im weitesten Sinne zeitgenössische) Kommentar zu diesem Rechtsbuch. Seit Abschluss der (ebenfalls durch Frank-Michael Kaufmann besorgten) ersten vollständigen Edition der Buch´schen Glosse im Jahre 2003 kann die Wissenschaft die historische Leistung des in Bologna ausgebildeten brandenburgischen Hofrichters Johann von Buch in vollem Umfang ermessen. Selbst dem Geübten erschloss sich der mittelniederdeutsche Wortschatz des Glossators allerdings nicht immer ohne Schwierigkeiten; daher ist mit der nun erfolgten Publikation eines Glossars zur Glosse ein weiterer Meilenstein für die Forschung gesetzt. Das Glossar führt nicht nur die enorme sprachschöpferische Leistung Johanns vor Augen, sondern erläutert – gewissermaßen durch die Hintertüre – auch den Wortschatz des Sachsenspiegels (jedenfalls in seinem Landrechtsteil, denn nur diesen bearbeitete Johann von Buch). Nicht zuletzt aufgrund des großen Einflusses von Sachsenspiegel und Buch´scher Glosse auf die weitere Rechtsliteratur vor allem des sächsisch-magdeburgischen Rechtsraums, der im Mittelalter bis ins Baltikum reichte, handelt es sich hierbei um einen Kernbestand der mittelniederdeutschen Rechtssprache. Wohl der Vollständigkeit halber enthält das Glossar darüber hinaus auch die lateinischen Wörter der Glosse, was bei eher dem Mittellatein zuzuordnenden Vokabeln immerhin hilfreich sein kann.

 

Das – wie die Edition der Glosse selbst – in der Reihe der Monumenta Germaniae Historica (MGH) erschienene Glossar mit seinen 1684 Seiten, verteilt auf drei stattliche Bände, entstand in nur knapp zehnjähriger Bearbeitungszeit – für ein Werk solchen Umfangs, erstellt von nur zwei Bearbeitern, eine beachtliche Leistung. Auf eine Einleitung mit Informationen zur Einrichtung der Ausgabe sowie Abkürzungs-, Quellen- und Literaturverzeichnissen (p. IX-XXXIII), folgt ab S. 3 das eigentliche Glossar. Es wird ergänzt durch zwei – jeweils unkommentierte – alphabetische Listen: ein „Verzeichnis der Kontextstellen“ (S. 1429-1666) und ein „Verzeichnis der Merksätze, Rechtsregeln, Definitionen und (Volks-)Etymologien“ (S. 1667-1684).

 

Das vorgelegte Werk ist ein Glossar und kein Wörterbuch. Es behandelt ausschließlich den Wortschatz der Buch´schen Glosse, diesen aber in eindrucksvoller Vollständigkeit. Die Lemma-Ansätze erfolgen nicht in einer (normalisierten) niederdeutschen Form, sondern gemäß der Schreibweise von Johann von Buch. Dies erleichtert ein Auffinden (auch nicht verstandener) Wörter der Glosse deutlich; zugleich wird freilich die Verwendbarkeit als allgemeines Nachschlagewerk zum (rechtlichen) Wortschatz des Mittelniederdeutschen eingeschränkt. So ist das Wort „Sitte“ nicht etwa unter (mittelniederdeutsch) „sette“, sondern unter „sedde“ einsortiert (S. 963). „Schiff“, mittelniederdeutsch „schip“, ist nur unter „schep“ zu finden (S. 942), während der Artikel „schippen“ (S. 948) – wie stets der Schreibung der Glosse folgend – das mittelniederdeutsche „schaffen/scheppen“ (hochdeutsch „schaffen/schöpfen“) behandelt. Dessen ungeachtet wird das Glossar, insbesondere solange das von Lasch und Borchling begründete Mittelniederdeutsche Wörterbuch und das Deutsche Rechtswörterbuch noch nicht abgeschlossen sind (beide Großwörterbücher bieten derzeit die Buchstabenbereiche von A bis S), auch über die Buch´sche Glosse hinaus ein wichtiges Hilfsmittel zum Verständnis des Mittelniederdeutschen und seiner Rechtssprache sein.

 

Im Aufbau der einzelnen Wortartikel ähnelt das Glossar einem Wörterbuch. Hinter den jeweils als Lemma gewählten Schreibform stehen weitere in der Glosse verwendete Schreibvarianten, bei Substantiven zusätzlich eine Liste der von Johann von Buch verwendeten Pluralformen. Da diese zum Teil deutlich abweichen, kann dies eine merkliche Hilfe darstellen. Hilfreich ist auch ein ausgeklügeltes Verweissystem, das es gut möglich macht, von einer nicht sogleich erkannten Schreibform zum betreffenden Lemma zu gelangen. Die Worterklärungen sind in der Regel kurz gehalten; das Bedeutungsspektrum hierbei zum Teil durch ausdifferenzierte Untergliederungen aufgefächert, wobei insbesondere auf rechtliche Aspekte besonderen Wert gelegt wurde. Den einzelnen Bedeutungserklärungen folgen die Fundstellen nach Seiten- und (angenehmerweise auch) Zeilenzahl der Edition, sowie – in der Schreibung der Edition zitierte, im Belegwort aber oft abgekürzte – feste Wortverbindungen und aus der Edition genommene komplette Merksätze und Definitionen, in denen das betreffende Wort vorkommt. Sie werden wenn nötig übersetzt und/oder erläutert, auch werden die jeweiligen Fundstellen angegeben. Soweit Johann von Buch an einer bestimmten Stelle zu einem deutschen Wort eine lateinische Entsprechung angibt, wird diese im Glossar in Klammern mitangegeben – eine sichere Interpretationsbasis für den Leser. Dies gilt namentlich für jene Stellen, in welchen Johann von Buch lateinische Referenzwerke mehr oder weniger wörtlich aus dem Lateinischen übersetzte und in seinen Text einarbeitete. Bei eindeutigen Bezugnahmen auf das Corpus iuris geben die Herausgeber zudem dankenswerterweise die entsprechende Codex- oder Digestenstelle mit an. Weicht Johann von Buch von seiner lateinischen Vorlage irrtümlich oder frei interpretierend ab, stellt das Glossar Johanns Interpretation der Corpus-Iuris-Stelle vergleichend gegenüber.

 

Konsequent ist der Umgang des Glossars mit Fehlinterpretationen, namentlich volksetymologischen Umdeutungen, durch Johann von Buch: Da es darum geht, den Wortschatz der Glosse zu erläutern, werden die Wörter entsprechend der Fehldeutung erklärt, dies aber nicht ohne den Nutzer durch entsprechende Verweise und Erläuterungen auf den richtigen Weg zu führen. So wird im Artikel „gagreue“ (S. 353) erklärt, dass Johann von Buch hierunter einen Schnellrichter versteht, aus „ga“ (jäh, schnell) und „greve“ (Graf), zugleich aber auf den „g(h)ogreue“, also den Gaugrafen als Richter, verwiesen. Da die Zusammen- und Getrenntschreibung zur Zeit der Entstehung der Glosse noch nicht feststand, ist es sinnvoll, dass das Glossar auch nicht zusammengeschriebene Wörter „auf dem Weg zum Kompositum“ mitaufnimmt und die Zusammengehörigkeit als Lesehilfe durch einen Bindestrich andeutet.

 

Einige Beschränkungen sind der Effizienz und dem Platz geschuldet. So wurde grundsätzlich auf Angaben der Wortarten verzichtet. Bei sehr häufig vorkommenden Wörtern (etwa Hilfsverben wie „machen“ oder „sein“) wäre es für die meisten Nutzer nur verwirrend gewesen, alle Fundstellen nachzuweisen, daher ist es nachvollziehbar, dass die Editoren sich in diesen Fällen auf den Vermerk „öfter“ beschränken. Verweise auf Synonyme und Antonyme erfolgen nur gelegentlich. Da jeweils ein Verweispfeil verwendet wird, ist im einzelnen Fall leider nicht immer deutlich, ob es um eine Bedeutungsverwandtschaft oder das Gegenteil geht. Dennoch sind die Verweise eine hilfreiche Ergänzung. Insgesamt achteten die Herausgeber auf Übersichtlichkeit und klare Strukturen.

 

Die beiden Anhänge erscheinen in Anbetracht der großen Leistungen der Bearbeiter im Hauptteil eher als eine Art Draufgabe: Das „Verzeichnis der Kontextstellen“ (S. 1429-1666) stellt eine – recht platzaufwendig gestaltete – alphabetische Liste von in der Glosse vorkommenden Mehrwortverbindungen dar. Häufig sind sie phrasemartig („mit zes penningen boten“), oft aber auch schlicht Kollokationen, namentlich Verbindungen eines Substantivs mit einem Adjektiv („koppern penningh“) oder Verb („penninge wedder-geuen“). Das „Verzeichnis der Merksätze, Rechtsregeln, Definitionen und (Volks-)Etymologien“ (S. 1667-1684) enthält Sätze wie „wes de schade is, deme boret de klaghe“ oder „kunst ist eyn eddel schat“. So spannend die Verzeichnisse sind, da sie beide weder Fundstellenangaben noch eine Erläuterung erhalten, also lediglich die Mehrwortverbindungen bzw. Sätze nach einem Schlüsselwort alphabetisch auflisten, bleibt ihr wissenschaftlich Mehrwert im Vergleich zum eigentlichen Glossar eher begrenzt. Will man etwa wissen, wo und in welchem Kontext Johann von Buch den im „Verzeichnis der Merksätze, Rechtsregeln, Definitionen und (Volks-)Etymologien“ gelisteten Satz „recht blifft alle tid recht“ (S. 1679) tatsächlich niedergeschrieben hat, bleibt nur der Blick in das eigentliche Glossar, wo sich der Satz sowohl unter „bliuen“ (S. 146) findet, als auch unter „recht“ (S. 868) mit entsprechender Fundstelle (1011,2), wo ein Auffinden allerdings mühselig ist, da die über 25 Seiten des Artikels „recht“ zu durchsuchen sind (S. 851-877). Wer allerdings einen schnellen Eindruck von der sprachschöpferischen Leistung des Johann von Buch gewinnen will, dem sei der zweite Anhang als Lektüre empfohlen.

 

Das ansprechend gestaltete dreibändige Werk sollte – zusammen mit der Edition der Buch´schen Glosse – seinen festen Platz in allen einschlägigen Bibliotheken finden. Das Glossar geht deutlich über vergleichbare Werke hinaus. Es wird nicht nur Forschenden den Zugang zur Buch´schen Glosse – und damit auch zum Sachsenspiegel – in Zukunft deutlich erleichtern und zweifellos zu neuen Spezialuntersuchungen zu Sachsenspiegel und Glosse anregen, sei es im rechtlichen, im kulturhistorischen oder im sprachlichen Bereich. Es wird auch dazu beitragen können, Studierenden die Angst vor einer selbständigen Arbeit mit diesen aus heutiger Sicht auf den ersten Blick fremd klingenden Quellen zu nehmen. Wir können den Bearbeitern daher nur dankbar sein.

 

Heidelberg                                                                            Andreas Deutsch