Gleeson-White, Jane, Soll und Haben. Die doppelte Buchführung und die Entstehung des modernen Kapitalismus, aus dem Englischen von Held, Susanne. Klett-Cotta, Stuttgart 2015. 366 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Im Laufe der Zeit hat sich das Wesen vielleicht sogar des Menschen an sich von der bloßen Befriedigung der angeborenen Bedürfnisse zu relativ vorteilhafter Ansammlung von Kapital entwickelt. In diesem Rahmen kommt der Übersicht über das vorhandene Vermögen und seine Vermehrung oder Verminderung durch Geschäfte mit Mitmenschen eine erhebliche Bedeutung zu. Dementsprechend kann es kaum überraschen, dass sich älteste Versuche der Aufzeichnung von Geschäftsvorfällen eines Unternehmers zur Erlangung einer Übersicht schon unter den frühesten Quellen des dritten vorchristlichen Jahrtausends aus dem vorderen Orient finden.

 

Mit einem Teilbereich dieser Thematik beschäftigt sich die dem Geschichten über Kunst und Finanzen erzählenden Vater gewidmete Untersuchung der in Wirtschaftswissenschaft und Literaturwissenschaft ausgebildeten, nach fünfzehnjähriger Tätigkeit als Lektorin in Sydney als freie Schriftstellerin tätigen Verfasserin. Die ursprüngliche Idee zu ihrem Werk kam ihr in dem Sommer, in dem sie als Praktikantin des Peggy-Guggenheim-Museums in Venedig verbrachte, noch vor Abschluss ihres Studiums der Volkswirtschaft in die Geheimnisse der Malerei der italienischen Renaissance eingeführt wurde und daraufhin nach deren materiellen, die Kunst ermöglichenden Grundlagen suchte und dabei auf Luca Pacioli und seine 1494 im Druckveröffentlichte Abhandlung über die venezianische Buchführung (im Umfang von 27 Seiten) stieß. Nachdem sie ihr Erkenntnisziel danach in eine Geschichte der doppelten Buchführung, Luca Paciolis und der Revolution in der Mathematik und in der Kunst abgeändert hatte, erweiterte sie es nach einem Ausgriff auf das System eines nationalen Rechnungswesens in einem dritten Schritt zu einer umfassenden Geschichte der doppelten Buchführung von ihren ersten bekannten Ursprüngen im Italien des späten 13. Jahrhunderts bis zu ihrer Übernahme in die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts.

 

Gegliedert ist das daraus entstandene Buch nach einem Vorwort über Robert Kennedy und den Wohlstand von Nationen und Konzernen in zehn Abschnitte. Sie betreffen Buchführung, Kaufleute und Mathematiker, Luca Pacioli, Paciolis bahnbrechende Schrift über Buchführung aus dem Jahr 1491, die Verbreitung der venezianischen doppelten Buchführung, die Verwandlung der doppelten Buchführung in der industriellen Revolution und der Geburt eines Berufsstands, doppelte Buchführung und Kapitalismus als Problem der Priorität von Henne und Ei, John Maynard Keynes, den  unaufhaltsamen Aufstieg eines untergangsimmunen Berufsstands und die abschließende Frage, ob Buchführung unsere Erde retten kann. Anmerkungen und Register runden das von wunderbaren, besten, fantastischen und enthusiastischen Mitmenschen geförderte Unternehmen, das voll Begeisterung vielleicht nur parallele modernisierende Entwicklungen kausal verknüpft, vorteilhaft ab.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler