Gemeine Bescheide, eingel. und hg. v. Oestmann, Peter, Teil 1 Reichskammergericht 1497-1805 (= Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 63, 1). Böhlau, Köln 2013. 802 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Als sich nach der Entwicklung des Staates für den Menschen die Gefahr der Allmacht dieser Einrichtung zeigte, versuchte er, sie durch die Forderung nach der Gewaltenteilung einzugrenzen, weswegen er der Legislative die Aufstellung allgemeiner Regeln und der Judikative die Entscheidung einzelner Streitigkeiten an Hand dieser allgemeinen Bestimmungen zuordnete. Da allerdings die gesetzgebende Gewalt nicht an jedem Ort zu jeder Zeit die von der richterlichen Gewalt für notwendig gehaltenen Festlegungen treffen konnte oder wollte, sahen sich Gerichte veranlasst, selbst allgemeine Entscheidungen jenseits konkreter Einzelfälle zu treffen. In diesen Problembereich gehören nach Ausweis der ausführlichen Einleitung des Herausgebers die gemeinen Bescheide, die nach ihm in eine Grauzone zwischen Gesetzgebung, Verwaltungsanordnung und Rechtsprechung fallen, also in das Spannungsfeld von Norm und Einzelfallentscheidung, womit bereits die Zeitgenossen ersichtlich Einordnungsschwierigkeiten hatten.

 

Die obersten Gerichte des Heiligen römischen Reiches erließen zwischen 1497 und 1805 insgesamt mehr als 430 gemeine Bescheide, davon das Reichskammergericht nach Ausweis der vorliegenden gewichtigen Edition mindestens 334 zwischen dem 31. Mai 1497 (Conclusum in consilio, quod in taxatione expensarum debeat haberi ratio mediarum sententiarum, nec literae sententiarum seu illarum documenta taxentur a cancellaria, nisi in praesentia procuratoris partis victae et in expensas condemnatae) und dem 25. Oktober 1805 (… die in dem Gemeinen Bescheid vom 17. August 1574 bestimmten sechs Contumacial-Gerichtstage auf vier herabgesetzt werden, um binnen denselben theils durch Nichterscheinen die Circumduction zu verhindern, theils nach erkanntem Rufen gegen den Nichterschienenen das weitere Contumacialverfahren zu beginnen). Weil der Gegenstand dieses Buches nach dem kurzen Vorwort weithin unbekannt ist und kaum jemand auch nur das Wort gehört hat, will die auf zwei Teile angelegte Edition Abhilfe schaffen. Sie ist des Herausgebers später, während etwa fünfer Jahre erstellter Beitrag zum Münsteraner Sonderforschungsbereich 496 „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur französischen Revolution“, wobei Peter Oestmann davon ausgeht, dass die starren Audienzordnungen frühneuzeitlicher Gerichte, umrahmt von Kleidervorschriften, vorgegebenen Worthülsen und anderem Zeremoniell hoffentlich die inhaltliche Brücke zum Rahmenthema des inzwischen ausgelaufenen Forschungsverbunds, aus dessen Mitteln noch der großzügige Druckkostenzuschuss gewonnen werden konnte, schaffen.

 

In seiner sachkundigen Einleitung behandelt der Herausgeber nacheinander gemeine Bescheide und andere Quellengruppen, gemeine Bescheide frühneuzeitlicher Gerichte, gesetzliche Rahmenbedingungen am Reichskammergericht und am Reichshofrat, das Verfahren zum Erlass gemeiner Bescheide, ihren Regelungsgehalt (Vorschriften zum Verfahrensalltag, Disziplinarmaßnahmen gegen Prokuratoren, polizeirechtliche Regelungen, Rangfragen und Ehrenfragen sowie Zeremoniell), die Überlieferung, die Editionsgrundsätze und die Quellen. Sie bestehen aus vier Teilen archivalischer Überlieferung und etwa 35 gedruckten Sammlungen zwischen 1572 und 1805/1806. Ein Register dieser zusammenfassenden und vielleicht auch abschließenden, sachverständig kommentierten Edition ist dem zweiten, für den Reichshofrat und seine weniger zahlreichen Decreta communia bestimmten Teil vorbehalten, mit dessen bevorstehenden Erscheinen das bedeutende wissenschaftliche, den frühneuzeitlichen Prozess in dem Heiligen römischen Reich in vielen Hinsichten weiter aufhellenden Vorhaben vervollkommnet sein wird.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler