García Losquiño, Irene, The Early Runic Inscriptions. Their Western Features (= Berkeley Insights in Linguistics and Semiotics 92). Lang, New York 2015. 194 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Entstehung der einzelnen Sprachen des Indogermanischen und der einzelnen Sprachen des Germanischen ist wegen des Mangels an früher sicherer Überlieferung seit der wissenschaftlichen Befassung mit diesem Gegenstand vieldiskutiert. Für das Geramische wird dabei vielfach in Nordgermanisch, Westgermanisch, Südgermanisch und Ostgermanisch gegliedert. Das später zu Deutsch, Englisch, Friesisch, Niederländisch und damit verwandten kleineren Sprachen führende Westgermanische ist wegen des Fehlens westgermanischer Texte aus der Völkerwanderungszeit sowohl in seinem Bestand als auch in seiner Entstehungszeit nicht wirklich gesichert.

 

Einen Teilbereich dieser Thematik behandelt die aus Spanien kommende, in Notre Dame, Tübingen und Uppsala weitergebildete und zuletzt im Centre for Scandinavian Studies der Universität Aberdeen tätige Verfasserin in ihrem vorliegenden, mit einer Bibliographie am Ende abgeschlossenen Werk. Es gliedert sich nach einer Einführung über den Forschungsstand mit einer Übersicht über die Entwicklung der germanischen Dialektologie von „fairy tales“ zu moderner Linguistik in zwei Teile mit fünf Kapiteln. Sie betreffen einerseits frühe Sprachformen im Nordwestgermanischen und andererseits die Verfestigung westgermanischer Sprachformen zwischen 350 und 700 nach Christi Geburt.

 

Dabei geht die Verfasserin von auf o endenden Namen in Runeninschriften in Vimose, Illerup, Nydam, Udby und Strårup einerseits und dem Fehlen von –z in Namen in Runeninschriften in Illerup, Vimose und Vaerløse ´(26 Inschriften) aus und untersucht anschließend 8 angelsächsische Inschriften von Undley, Chessel Down, Boarley und Caistor-by-Norwich sowie 11 kontinentale Inschriften von Aalen, Beuchte, Bopfingen, Donzdorf, Charnay, Hitsum und Erpfting. Allgemeines Ziel war die Suche nach bisher als spätere westgermanische Züge angesehenen Gestaltungen. Im Ergebnis ermittelt sie in den frühen dänischen Inschriften das bislang als westgermanisch angesehene o als Endung von Männernamen und das Fehlen von auslautendem z in Männernamen.

 

Als wertvolle Erklärungsmöglichkeit schlägt sie die Vorverlegung westgermanischer Entwicklungen bis zu dem auf 160 n. Chr. datierten Kamm von Vimose vor. Dem stellt sie die Möglichkeit der westgermanischen Konsonantengemination um 200 n. Chr. zur Seite. Jenseits der Philologie findet sie als frühesten aufspürbaren Zweck der Runeninschriften den einfachen römisch beeinflussten Herstellerhinweis.

 

Im Ergebnis vertritt sie die ansprechende Ansicht, dass die Ablösung des Westgermanischen vom Nordwestgermanischen nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt der älteren Runeninschriften festgelegt werden kann. Vielmehr dürfte bereits die Ausgangslage verhältnismäßig vielfältig gewesen sein. Darüberhinaus geht sie von einem allmählichen Wandel aus, in dessen Rahmen die Sprache der frühen Runenschreiber in vielem dem späteren Westgermanischen näher steht als dem Urnordischen oder Protonordischen.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler