Fiebrandt, Maria, Auslese für die Siedlergesellschaft. Die Einbeziehung Volksdeutscher in die NS-Erbgesundheitspolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939-1945 (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts55). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014. 640 S., Abb.

 

Adolf Hitler war bekennender totaler Nationalist, dem der Einzelne nichts, sein Volk aber alles sein sollte. Deswegen ließ er Fremdvölkische in großer Zahl vernichten und förderte nach Kräften die Deutschen. In diesem Rahmen forderte er am 6. Oktober 1939 in einer Rede im Reichstag des Deutschen Reiches eine neue Ordnung der ethnographischen Verhältnisse innerhalb der gegenüber der Sowjetunion durch einen Nichtangriffsvertrag mit Josef Stalin abgegrenzten deutschen Interessensphäre.

 

Mit einem Ausschnitt der dadurch begründeten Thematik beschäftigt sich die von Klaus-Dietmar Henke im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell geförderten Projekts betreute, im Jahre 2012 von der philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden angenommene, für den Druck teilweise überarbeitete und leicht gekürzte umfangreiche Dissertation der als Mitarbeiterin bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdiensts der früheren Deutschen Demokratischen Republik in der Außenstelle Dresden tätigen Verfasserin. Die verdienstvolle Arbeit gliedert sich nach einer Einleitung über Ziele und Aufbau, bisher unbefriedigenden Forschungsstand und äußerst zersplitterte Quellenlage sowie eine zusammenfassende Schlussbetrachtung in vier Kapitel. Sie betreffen die Erbgesundheits- und Volkstumspolitik im Vorfeld der Umsiedlungen, die anschließenden Umsiedlungsvereinbarungen und die Etablierung des Umsiedlungsapparates, die Selektionsetappen während der Umsiedlungen und den nur zum Vergleich herangezogenen Sonderfall Südtirol.

 

Im Überblick über die unterschiedlichen Umsiedlungsaktionen ließen sich 13000 Umsiedler aus Estland, 51000 aus Lettland, 8000 aus dem Narewgebiet, 30300 aus dem Generalgouvernement, 64600 aus Wolhynien, 55600 aus Galizien, 97000 aus dem Buchenland, 92700 aus Bessarabien und 14500 aus der Dobrudscha ermitteln, zu denen noch etwa 200000 Südtiroler kamen, die sich nach einer Absprache zwischen Adolf Hitler und Benito Mussolini für das Deutsche Reich und damit für eine Umsiedlung entschieden hatten, so dass es zusammengefasst um eine Umsiedlung von etwa 625000 Menschen ging. Die damit verbundenen Vorgänge beschreibt die Verfasserin teils ganz individuell, teils generell mit großer Sorgfalt und Umsicht auf Grund auch zahlreicher archivalischer Unterlagen. Insgesamt kann sie dabei überzeugend zeigen, dass nach dem Beginn des zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 die Umsiedlung ausgelesener Volksdeutscher ein erster Schritt auf dem Weg zu einer neuen nationalsozialistischen Gesellschaft von Herrenmenschen sein sollte und auch wurde, der mit zahlreichen Opfern verbunden war und wegen der militärischen Schwäche der Achsenmächte gegenünber den Alliierten letztlich vollständig scheitern musste.

 

Innsbruck                                                                              Gerhard Köbler