Festschrift Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Auflage. Beck, München 2015. 159 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Dass Wissen Macht auch im Recht ist, wussten bereits die iurisprudentes auf dem Forum der antiken Stadt Rom, die ihr Wissen dem Wissbegierigen unentgeltlich zur Verfügung stellten, aber selbverständlich dafür ein Honorar (eine Ehrengabe) entgegennahmen. Von diesem Sachwissen können gerade in der arbeitsteiligen Dienstleistungsgesellschaft mehr Sachkenner denn je einigermaßen auskömmlich zehren, zumal sie ihre zum Lebensunterhalt erforderlichen Einkünfte überwiegend aus anderen, vorwiegend staatlichen Quellen beziehen. Da Sachkunde in der Praxis freilich eine möglichst bekannte Adresse benötigt, unter der sie auf dem riesig gewordenen Wissensforum abgefragt werden kann, hat auch der technische Vermittler des Wissens bislang einen sicheren Platz in dem stetig wachsenden Meer der Informationen.

 

Seit 1934 wollte der 1933 den Berliner Fachverlag des jüdischen, getauften Verlegers Otto Liebmann mit allen Rechten gegen zeitgemäß angemessenes Entgelt erwerbende und daraufhin erkennbar prosperierende Verlag in der vom Vorgänger begründeten Reihe von Taschenkommentaren und Kurzkommentaren statt eines von zwei jüdischen und einem irrtümlich für halbjüdisch gehaltenen Juristen verfassten Vorgängers einen (einbändigen) Band 7 über das Bürgerliche Gesetzbuch veröffentlichen. Als Herausgeber war dafür zunächst der 1888 geborene, im Reichsjustizministerium als persönlicher Referent des seit 1931 als Staatssekretär tätigen Franz Schlegelberger wirkende Ministerialrat Gustav Wilke vorgesehen. Als er kurz vor der Fertigstellung 1938 in Österreich völlig unerwartet bei einem Verkehrsunfall tödlich verletzt wurde, trat neben den Bearbeitern Danckelmann, Friesecke, Henke, Hoch, Lauterbach, Pinzger, Radtke und Seibert der in Stade 1877 geborene, in Heidelberg 1902 zeitgemäß ohne Dissertation promovierte, nach Eintritt in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei am 1. Mai 1933 („auf Drängen und aus Sachzwängen“, Austritt mit dem 31. Dezember 1944) im Juni 1933 vielleicht wegen unklarer Nähe zu Roland Freisler zu dem Vizepräsidenten des Justizprüfungsamts Preußens und im April 1935 zu dem Präsidenten des Reichsjustizprüfungsamts ernannte frühere Kasseler Oberlandesgerichtsrat (Wilhelm Luis) Otto Palandt an seine Stelle und schrieb (gegen ein Honorar von zwei Teppichen als Anerkennung) in aller Eile noch ein „im Lektorat als miserabel geltendes“ Vorwort und eine 18seitige Einleitung „mit Huldigung in großem Ton“  für das neue Kommentierungsvorhaben.

 

Die 5000 Exemplare umfassende Erstauflage zu 27,50 Reichsmark (Vorwort mit 1. Dezember 1938 datiert, XXII, 2194 Seiten) war in einmaliger Weise sofort vergriffen, so dass ihr noch im gleichen Jahr eine zweite nahezu unveränderte Auflage und nach dem Ruhestand Palandts (im Februar 1943) 1944 bereits eine sechste Auflage, nach Entnazifizierung des Herausgebers im Dezember 1948 („in jeder Hinsicht entlastet“) 1949 mit entnazifiziertem Vorwort eine siebte Auflage, im Todesjahr des am 3. Dezember 1951 gestorbenen Herausgebers eine neunte Auflage und (pünktlich Ende November) 2015 (für 2016) eine 75. Auflage mit allen gesetzlichen Änderungen und der neuesten Rechtsprechung und Literatur folgen konnten. Diese aktuelle Fassung enthält 3,6 Millionen Wörter auf rund 3200 Dünndruckseiten und kann trotz Großformats und kleiner Schrift nur durch etwa 400 Druckseiten einsparende Abkürzungen als einbändiges Werk vorgelegt werden. In Würdigung dieser besonderen, von insgesamt nur (nach dem Vorwort des Verlegers) 19 Bearbeitern begründeten Erfolge erhält jeder Käufer des Kommentars unentgeltlich ein Exemplar der bisher wohl exemplarstärksten Festschrift aller Zeiten, die auch (verkürzt) alle bisherigen 75 Vorworte des wegen der Alleinstellung namensrechtlich und namenstatsächlich nahezu unbezahlbaren Flaggschiffs der deutschen Privatrechtspraxis wiedergibt.

 

Gegliedert ist die Jubiläumsgabe, deren Empfänger vom Verleger großzügigerweise um den Kommentar bereichert wird, in fünf Abschnitte. In ihnen berichten Palandt-Leser von Heimat, einem Leben mit dem Palandt und nicht nur einer Liebesklärung, Elena Barnert von myops über den angreifbaren Weg des Herausgebers (selten über sich hinausgewachsen, parasitärer Ruhm, hat gerade in seiner späten Blüte enttäuscht, im Sprung auf den fahrenden Zug in das tausendjährige Reich sogleich in der ersten Klasse, fügsamer Nutznuießer in hoher Position, geforderten Mut selbst schuldig geblieben zu Gunsten des endlich erreichten Fortkommens, nicht bestandene Prüfung auf Seelenadel 1945 vergessen) von Station zu Station, Palandt-Autoren Juristisches und Feuilletonistisches und Angehörige des Verlagshauses über Gertrud Artmaier (volljuristische Lektorin des Werkes von 1952 bis 2012) und die Goldwaage, alle Vorworte und den Palandt im Wandel der Zeit aus der Sicht der Druckerei. Insgesamt entsteht daraus eine vielfältige, spannende Besichtigung eines welterbewürdigen deutschjuristischen Wunders, das mit seinen lebenslangen Begleitern bis 2039 hundert Jahre alt werden könnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler