Fehdehandeln und Fehdegruppen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa, hg. v. Prange, Mathis/Reinle, Christine, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014. 219 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Dass der Mensch eine ihm von einem Mitmenschen ohne oder gegen seinen Willen zugefügte Beeinträchtigung durch eine Gegenhandlung auszugleichen versucht, dürfte zu den ältesten Verhaltensweisen überhaupt gehören. In der sprachlichen Wendung Auge um Auge, Zahn um Zahn ist dies sprichwörtlich in kurzer und klarer Weise zum Ausdruck gebracht. Damit ist zugleich klargestellt, dass diese Vorgangsweise grundsätzlich als selbverständlich und damit wohl auch als richtig eingestuft wird, wie dies in der Erklärung der Fehde in der älteren Geschichte Europas als rechtmäßige Feindschaft ebenfalls geschieht.
Da Einzelheiten der geschichtlichen Gewaltanwendung allerdings nach wie vor ungeklärt sind, hat an der Universität Gießen am 26. und 27. September 2011 ein von Susanne V. Weber und Peter Hesse ausgerichteter Workshop der Forschungsgruppe 1101 Gewaltgemeinschaften der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu dem Thema Fehdehandeln und Fehdegruppen im spätmittelalterlichen und frühzeitlichen Europa stattgefunden. In den dortigen Vorträgen wurde die eigenmächtig ausgeübte Gewalt vor allem für die Gebiete in den Blick genommen, denen von der Forschung eine dem spätmittelalterlichen Heiligen römischen Reich vergleichbare Fehdepraxis lange abgesprochen wurde (England/Schottland, Litauen/Polen, Ungarn). Während für die anschließende Drucklegung zwei Vorträge ausschieden, konnten zwei zusätzliche Studien über Polen und Frankreich eingeworben werden.
Demnach bietet der vorliegende schlanke Sammelband nach dem Vorwort insgesamt acht interessante Beiträge, in deren Thematik Christine Reinle zu Beginn mit sachkundigen Überlegungen zu Eigenmacht und Fehde im spätmittelalterlichen Europa einführt. Dem schließen sich Arbeiten über den raid im Kontext königlicher Politik im englisch-schottischen Grenzgebiet im Spätmittelalter, Gewaltstrukturen im frühneuzeitlichen anglo-schottischen Grenzland, feud in Polen, zwischenadlige Gewalt in den ruthenisch-ukrainischen Woiwodschaften, die „Nahme“ als wesentliche Beziehung in der Fehde im spätmittelalterlichen Frankreich, die Rolle der Helfer bei den Fehdehandlungen im spätmittelalterlichen Ungarn und schließlich die kollektive Gewaltpraxis in Ostafrika im 19. Jahrhundert an. Insgesamt bietet dementsprechend der mit den Kontaktdaten der Beiträger ohne Sachverzeichnis endende Band vielfältige Einzelerkenntnisse über Fehde in Europa (und anderwo) am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit (und anderwann), seit dem der werdende Staat den bisher selbverständlichen, gesellschaftsschädlichen Verhaltensweisen mehr und mehr ablehnend entgegentritt.
Innsbruck Gerhard Köbler