Fälschung als Mittel der Politik? Pseudoisidor im Licht der neuen Forschung. Gedenkschrift für Klaus Zechiel-Eckes, hg. v. Ubl, Karl/Ziemann, Daniel (= Monumenta Germaniae Historica, Studien und Texte 57).. Harrassowitz, Wiesbaden 2015. VII, 268 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Pseudoisidorische Fälschungen (Isidor Mercators) sind mehrere fälschende Sammlungen kirchenrechtlicher Bestimmungen der Mitte des 9. Jahrhunderts mit rund 10000 Einzelteilen (unter Verwendung etwa der Historia tripartita des Epiphanius-Cassiodor der einstmals Corbier Handschrift Sankt Petersburg, Russische Nationalbibliothek Lat. F. v. I. 11 oder der Konzilsakten von Chalkedon in der Version des Rusticus der einstmals Corbier Handschrift Paris, Bibliothèque Nationale Lat. 11611). Vermutlich wurden die pseudoisidorischen Fälschungen im westfränkischen Gebiet zwischen 833 oder 847 und 852 von mehreren Verfassern vielleicht auch an verschiedenen Orten (unter Abt Paschasius Radbertus von Corbie an der Somme = Pseudoisidor?) hergestellt. Der Gesamtnachweis der Fälschung gelang erst der neuzeitlichen Wissenschaft.
Mit den damit zusammenhängenden Fragen hat sich nach Horst Fuhrmann (Einfluss und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen Band 1ff. 1972ff.) vor allem der in Pforzheim am 12. Mai 1959 geborene Klaus Zechiel-Eckes befasst, der nach dem Studium von Geschichte, Romanistik und mittellateinischer Philologie in Saarbrücken und Freiburg im Breisgau bei Hubert Mordek 1990 mit einer Dissertation über die Concordia canonum des Cresconius promoviert, 1998 mit einer Schrift über Florus von Lyon als Kirchenpolitiker und Publizist – Studien zur Persönlichkeit eines karolingischen „Intellektuellen“ am Beispiel der Auseinandersetzung mit Amalarius – 835-838 – und des Prädestinationsstreits – 851-855 - für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften habilitiert und nach mehreren Lehrstuhlvertretungen zum Wintersemester 2003/2004 als Nachfolger Tilman Struves für die Geschichte des Frühmittelalters und Hochmittelalters nach Köln berufen wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits einen neuen Blick in Pseudoisidors Werkstatt geworfen (Francia 28/1 2001, 37ff.) und auf Pseudoisidors Spur einen dichten Schleier zu lüften versucht. Viel zu früh verstarb er in Köln am 23. Februar 2010, so dass seine grundlegende Studie über Fälschung als Mittel politischer Auseinandersetzung – Ludwig der Fromme (814-840) und die Genese der pseudoisidorischen Dekretalen (2011) nach dem jähen Ende einer vielversprechenden Karriere bereits postum erscheinen musste.
Zu seinem Gedenken fand in den Räumen der Universität Köln am 22. und 23. Februar 2013 eine von der Fritz Thyssen Stiftung unterstützte Tagung statt. Zehn Referate stellt der vorliegende, an optimaler Stelle erschienene, durch Register benutzerfreundlich abgerundete schlanke Sammelband der Allgemeinheit zur Verfügung. Sie reichen von einer einfühlsamen Einführung der Herausgeber bis zu einer glänzenden Bilanz Wilfried Hartmanns über Klaus Zechiel-Eckes als Erforscher des Kirchenrechts.
Dabei beschreibt nach der Einleitung über Fälschung und Politik im 9. Jahrhundert, nach der es Klaus Zechiel-Eckes im souveränen, sorgfältigen Zugriff gelungen war, vor allem auf Grund eines besonderen Zeichensystems (zweifelsfrei bzw. für Corbie gesichert, für Lorsch wahrscheinlich und für Saint-Denis rein hypothetisch) drei Handschriften des Fälschers zu identifizieren und das Kloster Corbie als Entstehungsort sowie Paschasius Radbertus als Urheber wahrscheinlich zu machen und als Motiv die eigenmächtige Absetzung und Vertreibung von Bischöfen durch Kaiser Ludwig den Frommen um 833 zu benennen, im Rahmen der Deutung der handschriftlichen Entdeckungen, des Verhältnisses der unterschiedlichen Fälschungsteile bzw. Fassungen und der Einordnung in die Politik des 9. Jahrhunderts Abigail Firey umfänglich Canon Law Studies at Corbie. Eric Knibbs behandelt die unterschiedlichen Versionen Pseudoisodors und Semih Heinen hält Ereignisse von 830/831 für ursächlich. Gerhard Schmitz plädiert für gemeinsame Quellen bei der Herstellung der falschen Kapitulariensammlung des Benedictus Levita und Pseudoisidor.
Steffen Patzold sieht den Anlass der Fälschungen im Jahr 830. Clara Harder vermutet als Ziel der Fälschung die Erweiterung der apostolischen Befugnisse und der Installierung des Papstes als Oberhaupt einer hierarchisch organisierten Kirche an. Patrick Breternitz ist der Ansicht, dass Paschasius Radbertus in der Schrift Epitaphium Arsenii Fragen der eigenen Gegenwart in die Zeit des Abtes Wala zurückverlegte und Courtney Booker stellt Erzbischof Ebo von Reims in den Mittelpunkt der Betrachtung.
Am Ende weist Wilfried Hartmann in der Gesamtwürdigung der Lebensleistung des Gelehrten nachdrücklich besonders darauf hin, dass bereits die Habilitationsschrift die Grundlage für die spätere Entdeckung der Fälscherwerkstatt Pseudoisidors bildete und dass Liebe zum Detail einerseits sowie Phantasie und Weitblick andererseits Klaus Zechiel-Eckes auszeichneten. Mit diesen herausragenden Fähigkeiten gelangen ihm ungewöhnliche, bahnbrechende Erkenntnisse. Als stetes Vermächtnis bleiben freilich umfängliche Aufgaben der Absicherung, Vertiefung und Erweiterung, deren Lösung auf Dauer unter Beweis stellen kann, wie fruchtbar das Wirken des Gelehrten war und wie viele neue Ideen die internationale Mediävistik seinem unvollendet abgebrochenen wissenschaftlichen Werk zu verdanken hat.
Innsbruck Gerhard Köbler