Erlerntes Recht. Zur Ausbildung von Juristinnen und Juristen an der Wiener Universität 1365-2015, hg. v. Strejcek, Gerhard. new academic press, Wien 2014. 195 S. Besprochen von Christian Neschwara.
Der vorliegende Band ist – seinem Titel gemäß – vom 650-Jahr-Jubiläum der Universität Wien inspiriert, er verspricht aber eigentlich nicht das, was der Titelsatz verheißt, nämlich eine Darstellung zur Juristenausbildung an der Wiener Universität seit 1365. Er leitet zwar mit einer weitausholenden Darstellung der „Evolution der Juristenausbildung“ (I., S. 12–25) ein – der Bogen spannt sich von der Rechtsfindung und Juristenausbildung in der griechisch-römischen Antike über die Frühscholastik sowie die oberitalienische Legistik bis zu den mitteleuropäischen Universitätsgründungen im Spätmittelalter und führt damit auch zu den Ursprüngen des Rechtsunterrichts in Wien im ausgehenden 14. Jahrhundert, – bricht dann aber abrupt im Humanismus ab und schwenkt unvermittelt zum 650 Jahr-Jubiläum der Universität Wien mit Hinweisen auf deren Archiv als eine „für Biographica und Wissenschaftsgeschichte verantwortliche Evidenzstelle“ sowie auf die Rolle der Stadt Wien „als Standort einer Juristenfakultät“. Weder diese Einleitung noch die weiteren in den anschließenden Abschnitten unter verschiedenen sachlichen Schwerpunkten zusammengetragenen Beiträge (II. bis X.) sind bestimmten Autoren namentlich zugeordnet, allerdings enthält das Vorwort (S. 11) Hinweise auf einzelne Verfasser: Es sind ehemalige oder aktuelle Mitarbeiter des Herausgebers als Leiter des Zentrums für Glückspielforschung am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Wien bzw. vereinzelt auch von anderen Instituten – mit unterschiedlicher Qualifikation vom habilitierten Professor über wissenschaftliche Assistenten bis zu studentischen Mitarbeitern.
Den Hauptschwerpunkt des vorliegenden Bandes bilden mehrere Beiträge über die (Wiener) Schule des Rechtspositivismus im 19. und 20. Jahrhundert (II. bis IV., S. 27–97): Dabei werden die „staatsrechtlichen Wurzeln“ (S. 66–85) dieser Rechtsschule, ihre Methodik in Lehre und Forschung im Allgemeinen und in ihrer räumlichen Dimension beschrieben, insbesondere an ihren konkreten rechtswissenschaftlichen Standorten in Wien. Besonderes Augenmerk gilt speziell dem Wirken von Wenzel Lustkandl, Leo Strisower, Karl Renner, Adolf Menzel und vor allem von Hans Kelsen im Rahmen der Staatsrechtslehre der österreichischen Monarchie. Ein anderer Beitrag betrifft die Betrachtung der Grundlagen der „Allgemeinen Rechtslehre“ und der „Methodik“ der „Wiener Schule“ im Besonderen (S. 86–97), vor allem ihrer rechtsphilosophischen Wurzeln im Werk von Kelsen, Adolf Merkl und Alfred Verdroß, sowie ihrer Entwicklung bis 1933 und ihrem Weiterwirken nach 1945 im Hans Kelsen-Institut und an anderen Standorten staatsrechtlicher Forschung, etwa an der Technischen Universität und an der Wirtschaftsuniversität in Wien oder an der Donauuniversität in Krems, bzw. im Verbund der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Eine ausführliche Darstellung der „Naturrechtsschulen und anderer Vorläufer des Zivil- und Staatsrechts“ (S. 27–65) macht die ursprüngliche Einbettung der (Staats- und )Politikwissenschaften sowie der Soziologie, Rechtsphilosophie und Nationalökonomie in die Rechtswissenschaft bewusst.
Der Stellenwert von anderen Zweigen der Rechtslehre an der Universität Wien ist Gegenstand von weiteren Beiträgen (V. bis VII., S. 98–122), die sich auf das Zivilprozessrecht, das Strafrechts und das Zivilrecht konzentrieren. Außerdem wird die Rolle von Frauen in der Rechtswissenschaft (VIII., S. 123–133) am Standort Wien beleuchtet.
Den Abschluss bilden Überlegungen des Herausgebers zum aktuellen Wiener rechtswissenschaftlichen Studienplan (IX., S. 134–140), welche in einem Plädoyer für einige Änderung der juristischen Ausbildung münden (X., S. 141–143).
Umfangreiche Register und Verzeichnisse (XI. bis XIV., S. 144–187), eine Zeittafel, eine historische Übersicht und ein Glossar, ergänzen den Inhalt; mit einem Literaturverzeichnis und einem Verzeichnis der Autoren sowie Abbildungen von historischen und aktuellen Standorten der Juristenausbildung in Wien schließt der Band auf Seite 195. Was die auf dem Titelblatt zwischen Herausgeber und Titel gesetzte Zahl 196 bedeutet, bleibt unklar.
Wien Christian Neschwara