Dröge, Martin, Männlichkeit und „Volksgemeinschaft“. Der westfälische Landeshauptmann Karl Friedrich Kolbow (1899-1945) – Biographie eines NS-Täters (= Forschungen zur Regionalgeschichte 78).. Schöningh, Paderborn 2015. 444 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.
Die Untersuchung ist eine für den Druck leicht gekürzte und überarbeitete Fassung der von Dietmar Klenke betreuten, im Sommersemester 2014 von der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn angenommenen Dissertation des der konstruktiven und familiären Atmosphäre am Lehrstuhl viel verdankenden Verfassers. Sie geht davon aus. dass sich der 1921 der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei beitretende Karl Fridrich Kolbow in der Wahrnehmung der Zeitgenossen von anderen in der Öffentlichkeit stehenden Nationalsozialisten offenbar vorteilhaft abhob, so dass sich die Nachkriegserinnerung an seine Person das Bild einer respektablen Persönlichkeit zu eigen machte, die ein gerechter und unparteiischer Vorgesetzter und ein untadeliger Verwaltungsmann gewesen sei. Mit Hilfe der vollständig überlieferten Tagebücher Kolbows soll, nachdem neue Forschungsergebnisse das bis dahin gezeichnete Bild bereits schrittweise dekonstruiert hatten, dies überprüft werden.
Gegliedert ist die stattliche Studie nach einer Einleitung über den Untersuchungsgegenstand, den Forschungskontext samt Verortung, die Quellengrundlage und den Theorierahmen von Geschlechter- und Männlichkeitsgeschichte sowie Nation, Gemeinschaft und Volksgemeinschaft im Aufriss deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts in zwei Teile. Der erste Teil betrifft die Sozialisation einschließlich der beruflichen Arbeit als Bergbauingenieur bis 1933. Der zweite Teil behandelt den Landeshauptmann der Provinz Westfalen in den Jahren 1933-1939, die Männlichkeit in den Jahren 1933-1939 und 1939-1945 sowie die Hierarchien unter kriegsgefangenen Männern.
Auf Grund seiner eindringlichen und umsichtigen Analyse stuft der Verfasser den in Schwerin humanistisch gebildeten Kolbow als einen intentional handelnden, weltanschaulich überzeugten Schreibtischtäter ein, der bereitwillig und mit bürokratischer Effizienz die Tötung psychisch kranker und geistig behinderter Patienten der westfälischen Provinzial-Heilanstalten koordinierte. Ein soldatisch-männlicher Habitus, von Kameradschaft geprägte Werte sowie das rassische Exklusionsgebot der Volksgemeinschafts-Ideologie waren nach dem Verfasser das gemeinsame Substrat für eine Beteiligung Kolbows an den Krankenmorden in Westfalen. Männlichkeit, Kameradschaft und Volksgemeinschaft waren und blieben für den am 24. September 1945 an den Folgen von Unterernährung versterbenden Kolbow die zentralen Leitvorstellungen, denen im Gefolge des als vorbildlich angesehenen Führers im Ergebnis die meisten anderen Ziele bedingungslos untergeordnet wurden.
Innsbruck Gerhard Köbler