Die Natur des Rechts bei Gustav Radbruch, hg. v. Borowski, Martin/Paulson, Stanley L.(= Grundlagen der Rechtswissenschaft 24). Mohr (Siebeck, Tübingen 2015. X, 267 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der in Lübeck 1878 als Sohn eines Kaufmanns geborene Gustav Radbruch wurde nach dem Rechtsstudium in München Leipzig und Berlin im Jahre 1902 mit einer von Franz von Liszt betreuten, in drei Monaten verfassten Dissertation über die Lehre von der adäquaten Verursachung promoviert und auf Vorschlag seines Betreuers in Heidelberg 1904 bei Karl von Lilienthal mit einer Schrift über den Handlungsbegriff in seiner Bedeutung für das Strafrechtssystem habilitiert. 1910 zum außerordentlichen Professor ernannt, wechselte er 1914 nach Königsberg und nach Kriegsdienst in der Heimat und Beitritt zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands nach Kiel und wurde 1921 und 1923 für jeweils mehrere Monate Reichsjustizminister. Am 28. April 1933 wurde er von nationalsozialistischen Machthabern als erster deutscher Professor in Heidelberg wegen fehlender Gewähr des rückhaltlosen Eintritts für den nationalen Staat entlassen, so dass er eigene unmittelbare Erfahrungen mit der Natur des Rechtes machen musste, nachdem er bereits 1913 Grundzüge der Rechtsphilosophie vorgelegt hatte.

 

Nach dem Vorwort der Herausgeber des vorliegenden Sammelbands war Gustav Radbruch Deutschlands berühmtester und wichtigster Rechtsphilosoph des 20. Jahrhunderts. Zu seinen Ehren sind insgesamt zehn Beiträge zu zwei Themenbereichen zusammengestellt. Sie betreffen den Begriff und die Natur des Rechtes bei Radbruch einerseits und die Wandlungen Radbruchs in seinen rechtsphilosophischen Schriften andererseits.

 

Eröffnet werden sie von Horst Dreiers Frage, ob die berühmte Radbruchsche Formel (vom Verhältnis von Gesetz und Recht) Erkenntnis oder Bekenntnis war und abgeschlossen durch Martin Borowskis Ablehnung der These einer naturrechtlichen Bekehrung Radbruchs. Zusätzlich werden etwa der neukantianische Hintergrund und der staatsrechtliche Kontext der Radbruchschen Rechtsbegriffe, das Verhältnis von Wirtschaft, Recht und Philosophie, die Stellung zum Unrechtsstaat, das Verhältnis von Recht und Moral, Wandlungen in der Rechtsphilosophie Radbruchs bei Kontinuität der nichtpositivisiteischen Rechtsphilosophie oder Kontinuitäten und Siskontinuitäten erörtert. Am Ende stellt der erste Herausgeber fest, dass, auch wenn Radbruch vor dem zweiten Weltkrieg kein konsequenter Naturrechtler war, sich in siner Rechtsphilosophie dieser Zeit doch verschiedene notwendige Verbindungen von Recht und Moral finden, so dass statt von einer Bekehrung Radbruchs eher von einer Ansiedelung von Wandlungen und Akzentuierungen innerhalb eines breiten Spektrums naturrechtlicher Positionen gesprochen werden sollte oder könnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler