Die Moskauer Deklaration 1943. „Österreich wieder herstellen“, hg. v. Karner, Stefan/Tschubarjan, Alexander O. unter Mitarbeit von Bacher, Dieter/Ruggenthaler, Peter (= Kriegsfolgen-Forschung 8). Böhlau, Wien 2015. 296 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

„Die Regierungen Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika kamen darin überein, dass Österreich, das erste freie Land, das der Hitlerschen Aggression zum Opfer gefallen ist, von der deutschen Herrschaft befreit werden muss. Sie betrachten den Anschluss, der Österreich am 15. März 1938 von Deutschland aufgezwungen worden ist, als null und nichtig. Sie betrachten sich in keiner Weise gebunden durch irgendwelche Veränderungen, die nach diesem Zeitpunkt in Österreich vorgenommen wurden.“

 

Diese an nachrangiger Stelle aufgenommenen Sätze sind der Beginn der kurzen, im Laufe der Moskauer Konferenz der Außenminister der UdSSR, der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien angenommenen Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943. Der sich mit ihr beschäftigende, von Erwin Pröll, Sergej Netschajew, Martin Eichtinger, Margot Klestil-Löffler und Hans Winkler in Geleitworten vorgestellte Band ist eines der Ergebnisse der Konferenz „70 Jahre Moskauer Deklaration“, die im Rahmen der 2007 von Ursula Plassnik und Sergej Lawrow vereinbarten gemeinsamen russisch-österreichischen Historikerkommission am 25. Oktober 2013 in Moskau und am 29. Oktober 2013 an der Diplomatischen Akademie Wien stattgefunden hat. Gegliedert ist das Werk nach zwei „Vorwörtern“ der Herausgeber in fünf Abschnitte.

 

Sie betreffen die Moskauer Außenministerkonferenz 1943, alliierte Planungen zu Österreich, die Zeit vom „Anschluss“ zur Nationswerdung, die Sowjetunion und Österreich sowie die Frage nach der „Magna Charta“ Österreichs. Dabei bietet etwa am Beginn Horst Möller einleitende Bemerkungen über die Moskauer Außenministerkonferenz von 1943, während am Ende Günter Bischof die Moskauer Deklaration und die österreichische Geschichtspolitik in Beziehung zu einander setzt. Insgesamt enthalten die 20 Referate vorzügliche Beschreibungen und Bewertungen der seinerzeitigen Gegebenheiten.

 

Nach  Günter Bischof sollte die Moskauer Erklärung als ein Propagandainstrument am Ende des Kriegsjahrs 1943 den Widerstand in den „Donau- und Alpengauen“ des Deutschen Reiches anregen (, ohne dass dieser angestrebte Erfolg einer Schwächung des Deutschen Reiches unter Adolf Hitler wirklich eintrat). Demgegenüber deuteten die Gründerväter der zweiten Republik Österreich (z. B. Karl Renner) im Rahmen der völkerrechtlichen Okkupationstheorie mit Opferthese das Dokument zu einer politischen Absichtserklärung der Alliierten um. In der Gegenwart wird diese Opferthese freilich als staatstragender Opportunismus eingestuft, dem es nicht um geschichtliche Wahrheit sondern um praktische und opportunistische  Nachkriegspolitik ging.

 

Im Kern waren die Österreicher 1938 wohl von dem Anschluss an das Deutsche Reich begeistert und unterstützten das Funktionieren des nationalsozialistischen Regimes einschließlich der Vernichtungspolitiken und des Krieges in ähnlich hohem Ausmaß wie die (Altreichs-)Deutschen. Sie waren nicht Opfer Hitlers, sondern unterstützten ihn als Täter. Dementsprechend sollte die Moskauer Erklärung nicht dem Wohle der Österreicher dienen, sondern der Schwächung Adolf Hitlers und seiner Anhänger im Deutschen Reich dieser Zeit, dem nach der Niederlage zu entrinnen allerdings nur praktische augenblickliche Vorteile mit sich bringen konnte.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler