Das Auswärtige Amt und seine umstrittene Vergangenheit. Eine deutsche Debatte, hg. v. Sabrow, Martin/Mentel, Christian. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014. 406 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Bediensteten einer Behörde führen grundsätzlich aus, was der Behördenleiter anordnet, und jeder eigenständige Ansatz birgt grundsätzlich zu allen Zeiten auch die Gefahr von Missverständnissen und Zerwürfnissen in sich, wie sie in hierarchischen Strukturen schon von der egoistischen Natur des Menschen her nicht ausgeschlossen werden können. Dementsprechend war auch in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft Adolf Hitlers die Zahl der willfährigen Vollstrecker naheliegender Weise größer als die Schar der Widerstand Leistenden. Erst von dem Zeitpunkt einer Mehrheitschance ist mit einem gegenteiligen Verhalten ernsthaft zu rechnen.

 

Das vorliegende Werk über eine bedeutsame deutsche Debatte nahm seinen Ausgang wie die Debatte selbst von einer im Mai 2003 im amtlichen Teil der Hauszeitschrift des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland (intern AA) erschienenen Todesanzeige für den am 9. Februar 2003 gestorbenen Generalkonsul Franz Nüßlein, die mit der traditionellen Schlussformel endete, dass das Auswärtige Amt ihm ein ehrendes Andenken bewahren werde. Daran nahm die 1918 geborene, während des zweiten Weltkriegs als Stenotypistin dienstverpflichtete, ab 1944 in Prag tätige Marga Henseler Anstoß, da Nüßlein in Wahrheit ein gnadenloser Jurist gewesen sei. Angesichts einer drohenden öffentlichen Diskussion ließ das Außenministerium seine Vergangenheit durch eine Kommission wissenschaftlich untersuchen, deren im Jahre 2010 vorgelegtes Ergebnis ebenfalls unterschiedlich aufgenommen wurde.

 

Das vorliegende Taschenbuch, herausgegeben von dem seit 2009 als Professor für neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität in Berlin wirkenden Martin Sabrow und dem 1979 geborenen, als Redakteuer des Internetportals Zeitgeschichte-online am Zentrum  für zeithistorische Forschung in Potsdam tätigen Christian Mentel, dokumentiert zunächst Vorabreaktionen, die Zeit zwischen Kritik und Zustimmung, die Phase der Polarisierung, den Höhepunkt der Konfrontation und die beginnende Verfachlichung und schließt nicht unerwartet mit vereinzelten Nachhutgefechten. Danach versuchen Herausgeber des Werkes Das Amt und die Vergangenheit (Wirkungen), Rainer Blasius (Vergängliches und Unzulängliches)  und Hans-Jürgen Dröscher (ohne Zorn und Eifer) Resümees. Im Ergebnis gelangen die Herausgeber zu der ansprechenden Ansicht, dass die lange und intensive Debatte eine geschichtswissenschaftliche Zäsur bilde, die weit über ihren konkreten Gegenstand hinausreiche, wodurch aber das hergebrachte Verhalten exekutiver Amtsträger schwerlich auf Dauer wesentlich beeinflusst werden wird.

 

Innsbruck                                                                              Gerhard Köbler