Creuzberger, Stefan, Willy Brandt und Michail Gorbatschow. Bemühungen um eine zweite „Neue Ostpolitik“ 1985-1990 (= Ernst-Reuter-Hefte 5). be.bra Verlag, Berlin 2015. 55 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wie der einzelne Mensch grundsätzlich egoistische Ziele hat, so setzen sich auch die an die Spitze eines Landes gelangten Politiker außer für ihre persönlichen Interessen in erster Linie für die wirklichen oder behaupteten Belange der von ihnen gelenkten Menschen ein. Dies führt, wie die Geschichte in zahllosen Beispielen zeigen kann, bei naheliegenden Interessengegensätzen zu zahlreichen Auseinandersetzungen mit unzähligen Opfern. Eine sinnvolle Alternative hierzu ist der friedliche Ausgleich durch das offene, gegenseitiges Verständnis und Vertrauen anstrebende Gespräch.

 

Mit einem gegenwartsnahen Teilaspekt dieser Problematik befasst sich das vorliegende Heft des in Calw 1961 geborenen, nach dem Abitur seit 1982 in Geschichte und Geographie in Frankfurt am Main, Tübingen und Bonn ausgebildeten Verfassers, der nach einem Aufenthalt in Moskau 1995 am Bonner Seminar für osteuropäische Geschichte mit einer Dissertation über die sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) und ihren Einfluss auf das politische System der sowjetischen Besatzungszone promoviert wurde. Danach wirkte er als stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa und seit 2001 wissenschaftlicher Hochschulassistent für neuere Geschichte an der Universität Potsdam. Unter der Betreuung durch Manfred Görtemaker wurde er im Jahre 2007 mit der Schrift „Kampf für die Einheit – das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des kalten Krieges 1949-1969“ habilitiert und im Jahre 2013 für Zeitgeschichte an die Universität Rostock berufen.

 

Seine Darlegung beginnt mit der Einstufung Brandts und Gorbatschows als eigenständigen Querdenkern, die das Gespräch höher schätzten als den Gegensatz und die Anwendung von Gewalt, was für Willy Brandt bereits für das Jahr 1963 und das damals ausgehandelte befristete Passierscheinabkommen mit der Deutschen Demokratischen Republik dokumentiert wird. Danach schildert der Verfasser die Annäherung und erste Begegnung Brandts mit dem am 11. März 1985 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gewählten Gorbatschow, den Willy Brandt am 27. Mai 1985 in Moskau besuchte. Im Ergebnis kann der Verfasser zeigen, dass Gorbatschow in Brandt auch nach dessen Verlust der politischen Macht in Deutschland einen Fürsprecher für einen Ausgleich der Interessen Deutschlands und der Sowjetunion im weltpolitisch bedeutsamen Wandel der Beseitigung des Eisernen Vorhangs sah, dessen Leben und Wirken er nach dem Tode Willy Brandts als große Lehrstunde und unschätzbares Kapital einstufte.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler