Cordes, Oda, Marie Munk (1885-1978). Leben und Werk (= Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 19). Böhlau, Wien 2015. 987 S. Besprochen von Werner Schubert.
Marie Munk gehört zu den wichtigsten deutschen Juristinnen, die sich in der Weimarer Zeit für die Gleichberechtigung der Frau in Ehe und Familie sowie für eine Reform des ehelichen Güterrechts einsetzten. Nach ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika – sie wurde 1943 amerikanische Staatsbürgerin – beteiligte sie sich mit wichtigen Beiträgen an Reformen des amerikanischen Familienrechts. Eine detaillierte Werkbiografie über Marie Munk lag bisher nicht vor, so dass es zu begrüßen ist, dass sich Oda Cordes dieser Thematik in ihrer an der Universität Hannover abgeschlossenen Dissertation angenommen hat. Ziel ihrer Untersuchungen war eine Analyse der Lebensgeschichte von Munk sowie eine erste ausführliche Untersuchung ihres Lebenswerks (S. 31ff.). Grundlage der Untersuchungen ist außer Überlieferungen im Landesarchiv Berlin (Helene-Lange-Archiv) der umfangreiche Nachlass Munks im Sophia Smith College in Northampton (Mass.), der ca. 30.000 Seiten umfasst. Von Munk liegen Autobiografien von 1941/1942 und von 1961 vor, von denen sich Cordes für die Verwendung der letzteren entschieden hat (S. 38f.).
Im ersten Kapitel (S. 51-99) behandelt Cordes das Elternhaus Munks – der Vater war Landgerichtsdirektor in Berlin –, ihre Schul-, Berufs- und Universitätsausbildung (1892-1911; Promotion zum Dr. iur. 1911 in Heidelberg) sowie ihre anschließende berufliche Tätigkeit (u.a. hauptamtlich angestellte Juristin in der Rechtsschutzstelle für Frauen und Mädchen in München; ab 1915 in Berlin, dort ab 1917 jur. Hilfsarbeiterin in Berlin-Schöneberg). Im folgenden Abschnitt geht es zunächst um die berufliche Profilierung Munks (1924 zweites jur. Staatsexamen; Niederlassung als Rechtsanwältin; ab 1929 Amts- und Landgerichtsrätin in Berlin). Ihr rechtspolitisches Engagement zwischen 1914 und 1933 erfolgte im Rahmen des von ihr mitbegründeten Deutschen Juristinnenvereins sowie in der Rechtskommission des Bundes Deutscher Frauenvereine und ab 1911 auch in der (German) International Federation of Business and Professional Women (S. 122-139). Im Abschnitt „Munks Einfluss auf die Reform im Unehelichenrecht, Eherecht, Scheidungsrecht, Familienrecht und Ehegüterrecht (1918-1922)“ (S. 139-261) befasst sich Cordes zunächst mit den Vorschlägen Munks zur Reform des Unehelichenrechts von 1918 (1920 war Munk Mitglied der Kommission des Reichsjustizministeriums zur Beratung über die Besserung der rechtlichen Stellung der unehelichen Kinder; Niederschrift bei W. Schubert, Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, Adoptions- und Ehescheidungsrecht, 1986, S. 107ff.) sowie zum Ehe- und Ehegüterrecht von 1921 (zusammen mit Margarethe Berent). 1923 veröffentlichte Munk unter ihrem Namen „Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt nebst Gesetzentwurf“ als Denkschrift des Bundes Deutscher Frauenvereine, die noch die Reform des Ehe- und Familienrechts nach 1949 beeinflusst haben. Weitere Stellungnahmen Munks erfolgten auf dem Deutschen Juristentag von 1924 (Ehegüterrecht), von 1928 (Verfahren in Familiensachen) und von 1931 (Ehegüterrecht; persönliches Eherecht) sowie u. a. in der DJZ und in: „Die Frau“. Durchgehend berücksichtigt hat Cordes auch die Stellungnahmen Munks zu den amtlichen Reformprojekten zum Nichtehelichenrecht, Scheidungsrecht und zum Ehegüterrecht (u. a. erstmals auch Auswertung der Stellungnahme des Präsidenten des Kammergerichts von 1928 zur Reform des ehelichen Güterrechts anhand des Fragenkatalogs des Reichsjustizministers Koch-Weser (S. 193ff.; 198ff. zum Vermerk des Sachbearbeiters des Reichswjuswtizministe4riums zum Stand der Reform des Ehegüterrechts). Der Abschnitt über die Weimarer Zeit wird abgeschlossen mit einem Beitrag zum wissenschaftlichen Profil Munks (S. 261-288).
Im dritten Kapitel beschreibt Cordes die „Flucht“ Munks aus Nazideutschland in die Vereinigten Staaten von Amerika 1933/1934 (S. 289-329). Nach ihrer Entlassung aus dem Justizdienst im Mai aufgrund des Berufsbeamtengesetzes vom April 1933 war sie „Forschungsgast“ in den Vereinigten Staaten von Amerika zunächst aufgrund einer Einladung des „International Congress of Women“ in Chicago und von Mai bis Dezember 1934 als Hausmutter (Assistent House Mother) bei der Fürsorgeerziehungsanstalt des Staates New York (New York Training School for Girls; hier praktische und wissenschaftliche Tätigkeit). Anschließend war Munk bis zu ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika im September 1936 in Deutschland. Im fünften Kapitel schildert Cordes den beruflichen Werdegang Munks in den Vereinigten Staaten von Amerika ab dieser Zeit (S. 330-406). Ihren Unterhalt sicherte Munk durch von der Carl Schurz Fondation finanzierte Lectures Trips und durch befristete Dozenturen (zuletzt am Sophia Smith College in Northampton. Nach Bestehen des „Bar-Examens“ im Februar 1943 erhielt sie im Herbst dieses Jahres ihre Einbürgerungsurkunde sowie die Anwaltszulassung (1954 auch Notarin), ohne dass es ihr gelang, in einer Anwaltssozietät Fuß zu fassen (S. 369f.). 1944 wurde sie Marriage Counselor bei einem Gericht in Toledo/Ohio. 1945 ließ sie sich in Cambrigde/Mass. nieder, wo sie ihren Lebensunterhalt durch „Hilfsarbeiten“ (S. 387) bestritt und von wo sie in Verbindung mit einer Berliner Anwaltskanzlei Wiedergutmachungsverfahren von Mandanten jüdischer Herkunft betreute (S. 383). Munk war Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Institutionen (S. 407ff.) und erhielt Forschungsaufträge zu Arbeiten über die Rechtsstellung der deutschen Frau während des Zweiten Weltkriegs und über eine rechtsvergleichende Studie über das Eherecht und Ehegüterrecht in Nord- und Südamerika (1954; S. 470ff.). Wissenschaftliche Kontakte hatte sie u. a. mit Norman Thorsten Sellin und Max Rheinstein (über diese im „Kompendium“, S. 776ff.).
Kernstück für Munks amerikanische Jahre ist das sechste Kapitel über „Schriften und Manuskripte“ (S. 509-645), die fast ausschließlich unveröffentlicht blieben. Gleichwohl waren ihre Forschungsergebnisse aufgrund ihrer Tagungsbeiträge und ihrer wissenschaftlichen Kontakte nicht unbeachtet. Cordes erfasst die Manuskripte Munks unter folgenden Gesichtspunkten: Nationalsozialistische Einflüsse auf Familie – Frau und Kirche – Der Weg der Deutschen aus dem Nationalsozialismus in eine Demokratie (u. a. zum Remer-Prozess von 1952) – Frauenrechte (1939-1942) – Transnationales – Transantlantisches (Leitbilder für ein demokratisches Deutschland anhand der Ehe- und Familienrechte in den USA; schwedische Vorbilder) und Manuskripte über das Problem Scheidung. Eine Zusammenfassung ihrer Reformideen für die Familie und das Familienrecht bringt Munk in ihrem nicht abgeschlossenen und unveröffentlichten, 500 Seiten umfassendes Manuskript „Elements of Love and Marriages“ (1945-1954). Ausgehend von einem therapeutischen Ansatz befasste sich das für gebildete Laien und Sozialarbeiter bestimmte Werk mit den rechtlichen, psychologischen, wirtschaftlichen und moralischen Problemen der Ehe (zum Inhalt S. 607ff., 626ff.). Wichtig sind auch ihre Vorschläge von 1954 zu einer „Uniform Divorce Bill“ (S. 695ff.). Munks Beitrag zur Rechtsentwicklung in Deutschland ist zu sehen in der Berücksichtigung ihrer Arbeiten zum persönlichen Eherecht und zum ehelichen Güterrecht aus der Weimarer Zeit durch Maria Hagemeyer, der Verfasserin des Entwurfs zum Gleichberechtigungsgesetz von 1957 (S. 637ff.). Für das amerikanische Recht sind insbesondere ihre Vorschläge zur Scheidungsrechtsreform hervorzuheben.
Die Wiedergutmachungsansprüche Munks sind Gegenstand des siebenten Kapitels, in dem sich Cordes auch mit der Dissertation Munks aus dem Jahre 1911 über die widerrechtliche Drohung nach § 123 Abs. 1 BGB befasst (S. 705ff.). Das Werk wird abgeschlossen mit Zusammenfassungen zum Leben und Werk Munks in Deutschland und in den USA (S. 737ff.) und mit einem „Kompendium der persönlichen Begegnungen mit Marie Munk“ (S. 776-941) mit zahlreichen Biografien, u. a. über Berent, Hagemeyer, Eugen Schiffer, Norman E. Himes, Thorsten Sellin und Max Reinstein. Als Ergänzung des Sachverzeichnisses (S. 981ff.) wäre auch noch ein Personenregister wünschenswert gewesen. Hilfreich wäre auch ein detailliertes Verzeichnis der Nachlassinhalte und des Dokumentenanhangs (abrufbar über den Böhlau-Verlag; jedoch zur Zeit noch nicht möglich).
Mit ihren Untersuchungen hat Cordes das Leben und das umfangreiche schriftstellerische Werk Marie Munks erschlossen. Besonders verdienstvoll ist es, dass sie auch die fast nur über die Nachlässe zugänglichen Materialien zu den Arbeiten Munks aus ihrer amerikanischen Zeit detailliert erschlossen hat. Die Stellungnahmen und Vorschläge Munks hätten etwas kompakter für die einzelnen Zeitabschnitte (etwa für die Weimarer Zeit) gebündelt dargestellt werden sollen. Die nicht immer präzise Darstellung beeinträchtigt teilweise den Lesefluss. Alles in allem hat Cordes ein wichtiges Werk zur Familienrechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts und zugleich zur Geschichte der Emigration deutscher Juristinnen nach 1933 und des Zugangs der Frauen zur juristischen Profession vorgelegt, auf dem weitere Arbeiten über die genannten Themenbereiche aufbauen können.
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