Beachy, Robert, Das andere Berlin. Die Erfindung der Homosexualität – Eine deutsche Geschichte 1867-1933. Siedler, München 2015. 462 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Unter den Menschen gab es von den ersten Anfängen an Männer und Frauen und ihr Lebenszweck war neben der Selbsterhaltung auch die Arterhaltung. Von daher gehört die mit kaum widerstehlichen Reizen versehene Bisexualität zur natürlichen Grundausstattung der Menschheit. Daneben bestand gleichzeitig von selbst die zusätzliche Möglichkeit der Homosexualität, die jedenfalls im altertümlichen Griechenland durchaus eindrucksvoll bezeugt ist.
Der einen modernen Teilaspekt ihrer Geschichte untersuchende, in Seoul Geschichte lehrende Verfasser wurde in Puerto Rico 1965 geboren und in Chicago 1998 zum Ph. D. promoviert: Er ist bereits durch eine Reihe geistesgeschichtlicher und kulturgeschichtlicher Untersuchungen hervorgetreten. 2014 veröffentlichte er den englischen Ausgangstext für das vorliegende, von Hans Freundl und Thomas Pfeiffer in das Deutsche übertragene Werk.
In seinm Mittelpunkt steht die Vorstellung, dass Berlin mit seinem Nachtleben seit dem späten 19. Jahrhundert Künstler wie Christopher Isherwood und W. H. Auden anzog, die den Grundstein dafür legten, dass die schillernde Metropole mit ihrer attraktiven schwulen Szene die Homosexualität zu moderner Blüte führte. Gegliedert ist das mit verschiedenen Abbildungen bereicherte Buch in eine Einleitung, acht Kapitel über die deutsche Erfindung der Homosexualität, deren polizeiliche Kontrolle in Berlin, die erste Bewegung für die Rechte der Homosexuellen und die Suche nach Identität, die berühmte Eulenburg-Affäre des Jahres 1906, Hans Blüher, die Wandervogel-Bewegung und den Männerbund, Sexualreform in der Weimarer Republik und das 1919 von Magnus Hirschfeld in einer großen dreistöckigen Villa im nördlichen Teil des Berliner Tiergartens eröffnete Institut für Sexualwissenschaft, Sextourismus und männliche Prostitution in Berlin in der Zeit der Weimarer Republik, die Weimarer Politik und den Kampf um die Strafrechtsreform sowie einen Epilog. Wer immer sich für die modernere Geschichte der Homosexualität interessiert, wird in dieser vielfältigen, neue Einsichten bietenden Studie umfangreiches und beeindruckendes Anschauungsmaterial finden.
Innsbruck Gerhard Köbler