Wölbern, Jan Philipp, Der Häftlingsfreikauf aus der DDR 1962/63-1989. Zwischen Menschenhandel und humanitären Aktionen (= Analysen und Dokumente 38). V&R Academic, Göttingen 2014. 563 S., 4 Tab., 15 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Erfindung des Geldes hat dem Menschen viele neue Möglichkeiten eröffnet. Dementsprechend konnte man noch am 8. April des Jahres 2014 in der Presse die Nachricht lesen: Indonesien zahlt an Saudi-Arabien (bzw. hinterbliebene Angehörige) 1,4 Millionen Euro (Blutgeld) zwecks Verhinderung der Hinrichtung des wegen Tötung seiner Arbeitgeberin zum Tode verurteilten Hausmädchens Satinah Bini Jumadi Ahmad s. http://www.koeblergerhard.de/jusnews2014.htm). Bereits Jahrzehnte früher war der Bundesrepublik Deutschland der Freikauf von Häftlingen aus der ehemaligen Deutschen Republik möglich, wie er mehr als 25 Jahre in erheblichem Umfang durchgeführt wurde.

 

Mit diesem besonderen Vorgang befasst sich die stattliche, geschichtswissenschaftliche, von Martin Sabrow betreute, mit der Bestnote bewertete Dissertation des 1980 in Marburg an der Lahn geborenen, in Geschichte, Politikwissenschaft und Englisch ausgebildeten, in Potsdam lebenden Verfassers. Er war von 2008 bis 2012 Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung und assoziierter Doktorand am Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam. Gegliedert ist seine Untersuchung nach einer ausführlichen Einleitung über Thema, Fragestellung, Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau in acht chronologische bzw. sachliche Abschnitte über die dem Mauerbau wenig später folgende Entstehung des Freikaufs zwischen 1962 und 1964, Strukturen, Akteure und Mechanismen, den Freikauf als regelmäßige Sonderaktionen (1964-1972), den Freikauf als institutionalisiertes Programm (1973-1989), den Weg des Freikaufs vom medialen Halbdunkel zum offenen, über Privatkontakte, Westrundfunk und Menschenrechtsorganisationen in der DDR verbreiteten Geheimnis, die Auswirkungen, die wirtschaftlichen Dimensionen, die freigekauften Häftlinge und einen zusammenfassenden Schluss.

 

Insgesamt kaufte die Regierung der Bundesrepublik Deutschland mehr als 33000 politische Häftlinge der Deutschen Demokratischen Republik frei, wobei im Auftrag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands das Ministerium für Staatssicherheit an führender Stelle tätig war. Als Gegenleistung erhielt die Deutsche Demokratische Republik (statt Geld) Waren im Wert von rund drei Milliarden Deutsche Mark (oder rund 90000 DM pro Häftling). Dem Verfasser ist sehr dafür zu danken, dass er das interessante, zwischen Handel und Humanität durchaus ambivalente Gegebenheiten betreffende, bislang vor allem wegen der nicht einfachen Quellenlage von der Forschung umgangene Thema in seiner durch Anhänge (u. a. Personenregister)  bereicherten Arbeitsorgfältig und detailliert ausgeleuchtet hat.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler