Wienhold,
Lutz,
Arbeitsschutz in der DDR – Kommunistische Durchdringung fachlicher Konzepte. disserta
Verlag, Hamburg 2014. 895 S., Abb. Besprochen von Werner Schubert.
Das Arbeitsschutzrecht ist noch immer ein stark vernachlässigter Teil der Geschichte des Arbeitsrechts. Es ist deshalb zu begrüßen, dass sich Lutz Wienhold in seinem umfassenden Werk über das Arbeitsschutzrecht und dessen Praxis in der DDR angenommen hat. In dem Abschnitt „Vorgeschichte“ (S. 11-56) verfolgt Wienhold den Arbeitsschutz und dessen rechtliche Regelungen, die stark an die Technisierung und die Arbeitsorganisation gekoppelt waren, bis 1945. Von ausschlaggebender Bedeutung war die wachsende Institutionalisierung und Perfektionierung des Arbeitsschutzes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zunächst wurde der Arbeitsschutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen etabliert (hierzu u. a. das grundlegende preußische Regulativ über die Beschäftigung jugendlicher Arbeiter in Fabriken vom 9. 3. 1839). Weitere Arbeitsschutzregelungen waren in der preußischen Gewerbeordnung von 1845 und in der Reichsgewerbeordnung von 1869 sowie in weiteren Gesetzesnovellen enthalten (besonders von 1891, Einführung einer allgemeinen staatlichen Aufsicht über den gesamten gewerblichen Bereich). Bereits 1876 lag ein Referentenentwurf zu einem Maschinenschutzgesetz vor (S. 53). Bahnbrechend war das Unfallversicherungsgesetz von 1884 (S. 30ff.), das einen Teil des Arbeitsschutzes auf kooperativer Grundlage verwirklichte. Seitdem besteht in Deutschland ein Dualismus im Arbeitsschutz (staatliche Gewerbeaufsicht und selbstverwaltete Unfallversicherungsträger). Initiativen des Reichs zum Erlass eines Arbeitsschutzgesetzes (von 1926, S. 569ff.; Entwurf von 1928 von Seiten der Gewerkschaft; dem Reichstag 1929 vorgelegter Entwurf zu einem Arbeitsschutzgesetz, hierzu S. 34f., S. 50f.; vgl. ferner Rolf Simons, Staatliche Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften, 1984). Das Reichsarbeitsministerium legte 1941 den Entwurf zu einem Gesetz über den Betriebsschutz vor (S. 583ff.; mit Begründung auch bei W. Schubert, Akademie für Deutsches Recht, Bd. XXII, 2015). Im Übrigen enthält das Einleitungskapitel noch Abschnitte über die Reform zum sozialen Arbeitsschutz, zum technischen Arbeitsschutz und zum Betriebsrätegesetz von 1920.
Die Kapitel über den Arbeitsschutz in der DDR behandeln nach einem Abschnitt über den Arbeitsschutz in der sowjetischen Besatzungszone bis 1949 die Entwicklung in den 1950er Jahren (ein sozialistischer Beginn), in den 1960er Jahren (Stabilisierung im Zeichen des sozialistischen Aufbaus), in den 1970er Jahren (Stagnation), in den 1980er Jahren (sein Niedergang) und Arbeitsschutz in den Jahren 1989/1990 (Übergang zur Wiedervereinigung). Zum Abschluss folgt eine „Bilanz“ zum Arbeitsschutz in der DDR (S. 438ff.). Die DDR verfügte über ein „überschaubar strukturiertes Vorschriftenwerk des Arbeitsschutzes mit anspruchsvoller Festlegung“ (S. 438). Es war insbesondere im Gesetz der Arbeit von 1950, im Gesetzbuch der Arbeit von 1961 und im Arbeitsgesetzbuch von 1976 geregelt (jeweils im Dokumententeil wiedergegeben). Das betriebliche Gesundheitswesen trug dem ganzheitlichen Verständnis des Arbeitsschutzes Rechnung und konnte „strukturelle Defizite im Arbeitsschutz) ausgleichen (S. 439). Die „guten Bausteine des DDR-Arbeitsschutzes“ sind nach Wienhold nicht isoliert zu sehen, sondern waren ein „Teil einer totalitären Gesamtlogik“ (S. 440). Der Arbeitsschutz war seit den 1950er Jahren den Anforderungen an die Produktion untergeordnet (S. 221). In den 1960er Jahren zeigten sich „verstärkt Umsetzungsprobleme und aufkeimende Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ (S. 292). Trotz einer Verbesserung des Arbeitsschutzrechts „mutierte“ in den 1970er Jahren der Arbeitsschutz „zu einem total ideologisierten Feld des Machterhalts der SED und der Darstellung einer vermeintlichen Überlegenheit des Sozialismus“ (S. 367). In den 1980er Jahren ging die Zahl der Arbeitsunfälle zwar zurück; jedoch waren für jeden vierten Beschäftigten die „Grenzwerte arbeitshygienischer Normen überschritten“ (S. 421). Die Missachtung arbeitsrechtlicher Normen zeigte sich in allen vier Dekaden beim Einsatz von Strafgefangenen und Baubrigaden (vgl. S. 441). Mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, so Wienhold, „ging der Arbeitsschutz der DDR unter. Es gab keinen Platz für das Arbeitsschutzrecht der DDR, auch nicht für theoretische Ansatzpunkte“ (S. 444).
Das Werk wird abgeschlossen mit einem reichhaltigen Dokumentenanhang, der die Quellen in sieben Abschnitten entsprechend den sieben Kapiteln des darstellenden Teils enthält. Außer den bereits genannten Entwürfen bringt Teil 1 noch die Denkschrift zur Neuregelung der Gewerbeaufsicht in Deutschland von 1919 (Schaffung einer Reichsaufsichtsbehörde, S. 547ff.). Von den gesetzlichen Grundlagen des Arbeitsschutzrechts der DDR gibt der Anhang auch zahlreiche archivalische Quellen, Berichte über Arbeitsunfälle und Arbeitsschutzprobleme sowie Auszüge aus literarischen Quellen (u. a. Monika Maron, Flugasche, 1981, S. 790ff.) wieder.
Mit dem Werk von Wienhold liegt eine umfassende Aufarbeitung des Arbeitsschutzrechts und dessen Praxis in der sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik vor, wie man sie sich detaillierter kaum wünschen kann. Auch wenn dies nicht zur Thematik der vorliegenden Darstellung gehörte, so wäre doch ein kurzer Überblick über den Arbeitsschutz in der Bundesrepublik nicht uninteressant gewesen. Es ist zu wünschen, dass über diese Thematik bald eine ebenso ausführliche Darstellung erfolgt.
Kiel |
Werner Schubert |