Webersberger, Marcus, Freizeichnungsklauseln in allgemeinen Konnossementsbedingungen im 19. und 20. Jahrhundert. Vom ADHGB zum Seerechtsänderungsgesetz (= Rechtsgeschichtliche Studien 70). Kovač, Hamburg 2014. XV, 183 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Das Konnossementsrecht des Handelsgesetzbuchs ist grundlegend reformiert worden durch das Seerechtsänderungsgesetz vom 10. 8. 1937 und eine Durchführungsverordnung vom 5. 12. 1939 (S. 159). Das Gesetz von 1937 geht zurück auf die Haager Regeln über Konnossemente vom 25. 8. 1924 (Abdruck im RGBl. II 1939, 1052). Das Gesetz von 1937 änderte das Konnossementsrecht des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs von 1861/Handelsgesetzbuchs von 1897, das eine weitgehende Freizeichnung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen erheblich einschränkte. Die Augsburger Dissertation Webersbergers behandelt erstmals zusammenhängend die Entwicklung des Konnossementsrechts und die Reederhaftung in der AGB-Praxis des 19. und des 20. Jahrhunderts. In dem Abschnitt B (S. 7-46) skizziert Webersberger die Entwicklung des Seehandels von der Antike über die Segelschifffahrtszeit (bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts) bis zur Dampfschifffahrt sowie die Einrichtung des Linienverkehrs und die Herausbildung des Stückgutvertrags (S. 32). In diesem Zusammenhang wurde das seit dem Mittelalter bekannte Konnossement an die „neuen Gegebenheiten“ angepasst, und wurde „zum maßgebenden Vertragsdokument des Seehandels“ (S. 46). Auf den Seiten 47ff. befasst sich Webersberger mit der Haftung des Reeders aus dem Frachtvertrag und der Haftung aus dem Konnossement (ausgestaltet als Namenspapier, Orderpapier oder Inhaberpapier), welches „das Rechtsverhältnis zwischen Verfrachter und Empfänger“ regelte und „die Verpflichtung des Verfrachters gemäß den Konnossementsbedingungen enthielt, „die tatsächlich abgeladenen Güter zu befördern und abzuliefern“ (S. 60). Das Konnossement hatte den „Charakter eines Wertpapiers“ (Traditionspapier), das den Urkundeninhaber berechtigte, auch während des Transports über die Güter mittels Konnossement zu verfügen (S. 60f.).

 

Obwohl die Haftung des Reeders nach dem Exekutivsystem (beschränkte Sachhaftung) eingeschränkt war, bauten die Reeder „ein engmaschiges Netz von Freizeichnungsklauseln“ auf und schlossen ihre Haftung vollständig aus bzw. reduzierten sie „auf ein Minimum“ (S. 122), so dass in den 1880er Jahren angeblich die Klausel „not responsible for anything“ existiert haben soll (S. 122; Beispiel S. 123f.). Auf den Seiten 74ff., 84ff. befasst sich Webersberger mit der Reederhaftung in der AGB-Praxis am Ende des 19. Jahrhunderts und mit den Stellungnahmen von Rechtsprechung und Wissenschaft zur Rechtswirksamkeit der AGB-Klauseln (S. 97ff.). Die Judikatur hielt die Haftungsfreizeichnungen der Reeder (insbesondere auch die „negligence clause“; S. 102ff.) für wirksam; die Monopolrechtsprechung des Reichsgerichts wurde nicht auf die Konnossementsbedingungen übertragen (S. 108ff.). Die Empfehlungen des 17. Deutschen Juristentags von 1884 und des 28. DJT (S. 128ff., 139ff.), die Haftung des Reeders aus Frachtverträgen weitgehend durch zwingende Rechtssätze festzusetzen (S. 145), blieben beim deutschen Gesetzgeber unbeachtet. Der Abschnitt: „Internationale Vereinheitlichungsbestrebungen bezüglich der Haftung aus dem Seetransport“ (S. 125-160) beginnt mit den ersten, weithin erfolglosen Bemühungen, einheitliche Bestimmungen für Konnossementsbedingungen zu schaffen. Auf nationaler Ebene brachte der Harper Act der Vereinigten Staaten von Amerika von 1893 (S. 135ff.) erstmals zwingende Regelungen hinsichtlich der Wirksamkeit von Haftungsfreizeichnungen in Konnossementen (S. 136ff.), die weitgehend auch dem Deutschen Einheitskonnossement von 1912 zugrunde lagen (S. 145ff.). Erst in der dritten Phase brachten die Haager Regeln von 1924 als völkerrechtlichem Übereinkommen eine „gerechte Verteilung der Haftungsrisiken der Seefahrt“ (S. 163) und ersetzten das Reederkonnossement durch das Verfrachterkonnossement (zugleich Abschaffung der Skripturhaftung). Dem eingangs genannten Gesetz von 1937 gingen längere Verhandlungen im Seerechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht und in einer speziellen Kommission des Reichsjustizministeriums voraus. In einem Ausblick (S. 164ff.) weist Webersberger auf die Haager-Visby-Regeln von 1998 (ergänzt durch die Rotterdam-Regeln von 2009) hin, die 1986 in das Handelsgesetzbuch übernommen wurden und auch dem Gesetzentwurf zur Modernisierung des deutschen Seerechts von 2012 (inzwischen als Gesetz vom 25. 4. 2013 in Kraft getreten) hin. Insgesamt ist zu bedauern, dass Webersberger nicht mehr im Detail auf die unmittelbaren Quellen zum Gesetz von 1937 eingegangen ist und auch die Entwicklung nach 1945 nur knapp behandelt hat. Abgesehen hiervon liegt mit dem gut lesbaren Werk von Webersberger aber eine Darstellung über Freizeichnungen in den seerechtlichen Konnossementen des 19. und 20. Jahrhunderts und damit über einen wichtigen Teil der Geschichte des Seefrachtrechts (Reederhaftung, Verfrachterhaftung) vor, auf der weitere Untersuchungen zum deutschen und internationalen Seefrachtrecht aufbauen können.

 

Kiel

Werner Schubert