Vom Diener des Fürsten zum Diener des Rechts. Zur Stellung des Richters im 19. Jahrhundert = Del servicio al Rey al servicio de la Justicia - el cargo de juez en el siglo decimonónico, hg. v. Czeguhn, Ignascio/Sanchéz Aranda, Antonio (= Edition Rechtskultur - Schriften zur europäischen Justizgeschichte im 19. Jahrhundert). Gietl, Regenstauf 2011. 137 S. Besprochen von Christoph Schmetterer.

 

Der vorliegende Band ist das Ergebnis eines Kongresses zum Thema „Justizverwaltung und Judikative in Europa 1808–1871“, der am 26. und 27. November 2009 an der juristischen Fakultät der Universität Granada stattfand.

 

In seinem Beitrag „Zur Stellung des Richters im süddeutschen Frühkonstitutionalismus“ gibt Martin Löhnig einen Überblick darüber, wie die Unabhängigkeit der Richter in den Verfassungen Bayerns, Badens und Württembergs im frühen 19. Jahrhundert geregelt war. Seine Darstellung bietet einen guten Einblick in diese Verfassungen, stellt aber keinen Zusammenhang zwischen diesen her, indem sie die einzelnen Verfassungen vergleicht.

 

Der Artikel „Die Entwicklung der Unabhängigkeit des Richters in der Schweiz 1798–1848“ zeigt einen Überblick über die Schweizer Verfassungsentwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Aspekt der Justiz und ihrer Organisation. In diesem Zusammenhang gehen die Autoren auch auf die Unabhängigkeit der Richter ein. Für Nichtschweizer ist es interessant, dass der Kontext der richterlichen Unabhängigkeit ein ganz anderer war als im Deutschen Bund, weil die Richter nicht vom Landesfürsten ernannt, sondern gewählt wurden. Daher ging es nicht um einen Unabhängigkeit gegenüber Machtsprüchen, sondern um die Unabhängigkeit von politischen Interessengruppen.

 

Eine Rezension des Artikels von Miguel Ángel Morales Payán („Los alcaldes al servicio de la jusiticia decimonónica: una propuesta discutida“) ist mir wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht möglich.

 

Mareike Preisner behandelt die „Grundlinien der deutschen Schwurgerichtsbarkeit“ und gibt hier auf engem Raum zunächst einen anschaulichen und fundierten Überblick über Aufbau, Zuständigkeit und Besetzung der deutschen Gerichte nach den Reichsjustizgesetzen von 1879. Dann behandelt sie Auswahl und Rechtsstellung der Laienrichter sowie die Besonderheiten des schwurgerichtlichen Verfahrens. Im Zusammenhang mit der Rechtsstellung der Laien verweist sie darauf, dass deren Bindung an das Gesetz diskutiert und letztlich bejaht wurde, und fragt mit Recht, ob sich das in der Praxis auswirkte. Bezüglich des Verfahrens greift Preisner zwei interessante Punkte heraus: einerseits das Frageschema von Haupt-, Hilfs- und Nebenfragen. Hier ist besonders auffallend, dass (anders als etwa in der österreichischen Strafprozessordnung) die strikte Trennung von Schuldspruch und Strafbemessung durch die Nebenfragen durchbrochen war. In diesen entschieden nämlich die Geschworenen allein über das Vorliegen von Milderungsgründen oder Erschwerungsgründen. Hier liegt ein gelungener Überblick über ein Kapitel der deutschen Strafrechtsgeschichte vor, das schon 1924 mit der Abschaffung der Geschworenengerichte in der sogenannten „Lex Emminger“ wieder endete.

 

Antonio Sanchez Aranda („The English Habeas Corpus or the Aragonese Manifestatión de Personas? The Procedural Model to Guarantee the Fundamental Right od Personal Liberty in the Spanish Consitutiion of 1812“) behandelt den Schutz der persönlichen Freiheit in der Verfassung von Cadiz von 1812. Zwi Modelle wurden bei deren Erarbeitung diskutiert: der englische writ of habeas corpus und die aragonesische manifestatión de personas. Schließlich wurde aber eine richterliche Überprüfung nach französischem Modell eingeführt.

 

Racardo Gomez Rivero behandelt unter dem etwas missverständlichen Titel „Appointing of Magistrates in Spain in the First Half oft he Nineteenth Century“ die verschiedenen Modalitäten der Ernennung von Richtern in Spanien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er macht deutlich, wie sehr diese Modalitäten mit der konstitutionellen Entwicklung zusammenfielen.

 

José Perez Antonio Juan („Legal Framework for the Jury in the First Spanish Constitutionalism“) beschäftigt sich mit der Laienbeteiligung an der Rechtsprechung und deren Einführung in Spanien. Er führt aus, dass die Möglichkeit von Gerichtsentscheidungen durch eine Jury erstmals 1812 in der Verfassung von Cadiz eingeführt worden war. Diese Möglichkeit wurde dann im Pressegesetz von 1820 umgesetzt. Dessen Entstehung und Inhalt erläutert Juan ebenso wie die beiden zugehörigen Novellen in den Jahren 1822 und 1823.

Wie jeder Tagungsband kann auch der vorliegende nur einzelne Schlaglichter auf das Generalthema werfen – im konkreten Fall sind es Schlaglichter auf den deutschsprachigen Raum und auf Spanien, ohne dass eine besondere Verbindung zwischen beiden Bereichen deutlich gemacht wird. Positiv finde ich, dass sich alle Beiträge tatsächlich auf den Kern des Generalthemas beziehen und sich nicht auf eher konstruierte Zusammenhänge beschränken müssen. Eine Überarbeitung durch einen native speaker hätte den englischsprachigen Beiträgen, die sich auf Spanien beziehen, durchwegs gut getan. Da ich nicht spanisch spreche, bin ich aber dankbar, dass sie auf Englisch verfasst und damit einer wesentlich größeren Leserschaft zugänglich sind.

 

Wien                                                               Christoph Schmetterer