KöblerVollmerstauffenbergsgefährten20140227 Nr. 15090 ZIER 4 (2014) 72. IT

 

 

Vollmer, Antje/Keil, Lars-Broder, Stauffenbergs Gefährten. Das Schicksal der unbekannten Verschwörer (= Schriftenreihe der Bundesanstalt für politische Bildung 1347). Bundesanstalt für politische Bildung/Hanser, Bonn/München 2013. 255 S., 51 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Die Literatur zum Attentat am 20. Juli 1944 ist schon jetzt schwer überschaubar; sie wird sich aus Anlass der 70. Wiederkehr des Tages in diesem Jahr weiter vergrößern. Das hier zu besprechende Buch fällt aus dem Rahmen der üblichen detailgefüllten Literatur. Antje Vollmer, die ehemalige Vizepräsidentin des Bundestages, und Lars-Broder Keil, Redakteur der WELT-Gruppe, legen nicht ein Lexikon mit möglichst vielen Personalangaben zu Personen vor, die im Zusammenhang mit dem Attentat standen, wie dies der Titel suggerieren könnte, sondern sie wählen zu ihrer Darstellung Leben und Wirken von neun Männern und einer Frau aus.

 

Die Autoren führen die Gedanken weiter, die Detlef von Schwerin in seinen Arbeiten zu den ‚Jungen beim 20. Juli 1944’ begonnen hat. Das Literaturverzeichnis zeigt, dass die Autoren die wesentliche Literatur zum Attentat, seiner Vorgeschichte, seinem Verlauf und der Rache nach seinem Misslingen kennen. Auf dieser Basis haben sie jedoch beeindruckende Porträts der Handelnden geschaffen. 

 

Antje Vollmer zeichnete das Leben von Friedrich Karl Klausing, Heinrich Graf zu Dohna-Tolksdorf, Georg Schulze-Büttger und Hans Bernd Gisevius nach. Lars-Broder Keil widmete sich Erich Fellgiebel, Albrecht Graf von Bernstorff, Hans Ulrich von Oertzen, Kurt Freiherr von Plettenberg und Randolph Freiherr von Breidbach-Bürresheim. Die Historikerin Elisabeth Raiser, geb. von Weizsäcker, schildert aus ihrer persönlichen Kenntnis Margarethe von Oven. Die Einführung des Bandes bildet ein Gespräch mit Richard von Weizsäcker über seine Begegnungen mit Beteiligten am militärischen Widerstand. Das Schlusskapitel, ein Gespräch mit Ewald Heinrich von Kleist, der 1944 einer der jüngsten Beteiligten an dem Attentat war, zeigt wie einer der Überlebenden praktisch in die Politik hineinwirken konnte: er schuf durch Gründung der Münchener Wehrkundetagung (1962) ein Forum, auf dem sich Politiker und Militärs aus aller Welt regelmäßig treffen konnten, um die Gedankenwelt der jeweils anderen Seite kennen zu lernen.

 

Die Autoren zeichnen in ihren Porträts den Werdegang der Personen und insbesondere die Beobachtungen und Erfahrungen, die sie dazu führten, sich dem Widerstand anzuschließen. Fern von einer Anhäufung von Daten gelingt es, die Beteiligten in ihrer Lebenssituation darzustellen. Vielen der Beteiligten wird schon sehr früh klar, welche Verbrechen durch die Staatsführung angerichtet und geduldet werden. Durch die persönliche Verbindung innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppe erhalten die Beteiligten glaubhafte Kenntnis von vielen Vorgängen. Dies zu wissen und untätig bleiben zu müssen ist für Viele eine außerordentliche Belastung. Die vielfach beachtlichen Positionen, welche die Beteiligten einnehmen, geben ihnen Einblick in die Funktionsweise des verhassten Systems. Für einen Beobachter, der von heute aus rückwärts schaut, ist es überraschend, welche ethischen Skrupel die Beteiligten lange Jahre hatten. In der Befürchtung, dass eine Tötung Hitlers zu unüberschaubaren Zuständen im Lande führen könnten, sollten diese Zustände durch eine möglichst genaue Vorbereitung der „Zeit danach“ geordnet werden. Der heutige Betrachter fragt sich, was geschehen wäre, wenn schon recht früh nach Anzettelung des Krieges einige der dafür maßgeblichen Personen einzeln getötet worden wären. Aus dem Rückblick scheint das System doch auf so wenige Entscheidungsträger gestützt gewesen zu sein, dass ihr Ausfall nicht zu schließende Lücken geschaffen hätte.

 

Bei den hohen moralischen Grundsätzen vieler Beteiligter wurde noch sehr lange erwogen, Hitler gefangen zu setzen, um ihn vor ein Gericht stellen zu können. Angesichts der Tatsache, dass an jedem Tag, den der Krieg andauerte, Hunderte von Menschen bei Kampfhandlungen, bei Bombenabwürfen und in Vernichtungslagern sterben mussten, ist es beeindruckend, welche Gedanken die Beteiligten und ihre Vertrauten erörterten. Je länger die Unsicherheit über das Vorgehen andauerte, desto mehr Personen wurden in die Planungen einbezogen oder erfuhren davon. Die Vielzahl der Gefangenen und schließlich Getöteten nach dem misslungenen Attentat zeigen den Umfang, den die Planung schließlich erreicht hatte.

 

Die Lebenswelten des Bürgertums und des Adels, dem die geschilderten Personen angehörten, sind in einer Weise verloren gegangen, derer man sich erst durch die Schilderungen der Autoren bewusst wird. Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass viele, die diese Lebenswelten verkörperten, getötet wurden. Andererseits ist aber auch durch die Vertreibungen nach Kriegsende dieser Lebenswelt die Grundlage entzogen worden. Marion Gräfin Dönhoff, die in vielen Schilderungen erwähnt ist, hat in ihren Schriften diese verlorene Lebenswelt bereits eindrücklich beschrieben. Sie hat dann aber vorgelebt, wie Gedanken aus diesem Umkreis in der Nachkriegszeit zeitentsprechend fortgeführt werden konnten.

 

Es ist eine kluge Entscheidung der Herausgeber gewesen, die zwielichtige Gestalt des Hans Bernd Gisevius mit aufgenommen zu haben. Seine ‚Aktivitäten’ ergeben sich weitgehend aus seinen eigenen Berichten und hierbei stellt er sich gern in den Vordergrund. Personen wie er riefen auch bei Wohlwollenden Zweifel an der Integrität der Attentatsteilnehmer hervor.

 

Das Porträt Margarete von Ovens zeigt, dass alle Planungen auch die Mitwirkung stiller Helfer erforderten. Wesentlich war, dass sie dabei mitgedacht und mitgeplant hat und viele Risiken eingegangen ist. Gerade an ihrer Person, die zu hohen Offizieren der Heeresleitung Kontakte hatte, ist zu erkennen, was schon früh über Verbrechen und militärische Fehlentscheidungen bekannt war. Warum haben die Generäle, die mehr wussten, bis auf wenige Ausnahmen nicht geholfen, das Attentat zum Erfolg zu bringen? Die Lebensschicksale nachgeordneter Soldaten und Offiziere, die sich zur Teilnahme am Attentat entschlossen, zeigen, dass eine familiäre Tradition eines verantwortungsbewussten Lebens sehr verschieden ist von einem an Äußerlichkeiten, wie Befehl und Gehorsam ohne Reflektion, orientierten Leben.

 

Die Beschreibungen der Personen im vorliegenden Bande erweisen indes, welche Verluste an ethischer und moralischer Tradition zu beklagen sind. Zu recht wird festgestellt, dass die wenigen Überlebenden nicht die Kraft hatten, die Nachkriegszeit zu prägen. Ihre Verfolger und die Geistesverwandten bestimmten, nach einer flüchtigen Regenerationsphase, die Zukunft. Von heute aus erschreckend ist es zu sehen, welchen Anfeindungen die getöteten Attentatsteilnehmer und ihre wenigen Überlebenden und Angehörigen ausgesetzt waren. Mehr als es lexikonartige Datensammlungen vermögen, schildert dieser Band das Ausmaß der Verluste, das schon durch den Krieg und dann durch das misslungene Attentat eingetreten ist.

 

Neu-Ulm                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz