Schwarz, Birgit, Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub. Theiss, Darmstadt 2014. 320 S. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Seit gut einem Jahrzehnt publiziert die Wiener Kunsthistorikerin Birgit Schwarz zu Adolf Hitlers Kunstsammlungen und zu dessen Linzer Museumsprojekt. Im Zuge ihrer Forschungen hat sie dabei manche aus der älteren Literatur herrührende Annahmen betreffend Hitlers Sachverstand auf künstlerischem Gebiet und seine Museumsplanungen, durch akribische Quellenarbeit korrigiert.

 

Der hier zur Besprechung anstehende Band unterstreicht Hitlers zentrale Rolle im Kontext der unter dem Begriff des NS-Kunstraubs erfassten, maßgeblich vom verfolgungsbedingten Entzug gespeisten Akkumulation und Aneignung von Kunstwerken und Kulturgütern aus öffentlichen wie privaten, sehr oft jüdischen inländischen und ausländischen Sammlungen zum Zweck der Beteilung und Ausstattung ausgewählter Museen im Reichsgebiet. Mit Hans Posse, dem Direktor der Gemäldegalerie Dresden, berief der Diktator einen ausgewiesenen Experten als Mann seines Vertrauens zum Leiter des sogenannten „Sonderauftrags Linz“; ihm als dem Hitler „unmittelbar untergeordnete(n) Sachbearbeiter für alle Kunstfragen“ (S. 259) oblag somit ab Juli 1939 bis zu seinem Tod im Dezember 1942 (dann folgte ihm Hermann Voss nach) die Beschaffung, die Auswahl, die wissenschaftliche Dokumentation und die Organisation der Lagerung dieser qualitativ oft höchstwertigen Objekte in eigens hierfür bestimmten Depots. Posses Einfluss als „Hitlers Dämon, der seinen Auftraggeber antrieb und den Kunstraub radikalisierte“, sei dabei „erkennbar über das Operative hinaus[gegangen]“ (S. 9).

 

Es erscheint nur folgerichtig, dass Hitler, der beispielweise mittels des Rechtsinstituts des außerordentlichen Einspruchs als des Reiches oberster Gerichtsherr jederzeit rechtskräftige Urteile in Strafsachen auszuhebeln vermochte, sich auch auf kulturpolitischem Gebiet als oberster Kunstmäzen ein adäquates Instrument zur Durchsetzung seines Willens schuf; dieser sogenannte „Führervorbehalt“ findet sich erstmalig in einer vom Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, gezeichneten, als geheim klassifizierten Rundverfügung vom 18. Juni 1938, betreffend die „Beschlagnahme staatsfeindlichen Vermögens in Österreich“. „Im Auftrage des Führers“ wurde darin gebeten, „die erforderlichen Anordnungen zu treffen, damit eine Verfügung über das in Österreich beschlagnahmte Vermögen bis auf weiteres unterbleibt. […] Der Führer beabsichtigt, nach Einziehung der beschlagnahmten Vermögensgegenstände die Entscheidung über ihre Verwendung persönlich zu treffen. Er erwägt dabei, Kunstwerke in erster Linie den kleineren Städten in Österreich für ihre Sammlungen zur Verfügung zu stellen“ (S. 17). Dieser Verfügungsanspruch sollte in der Folge sowohl räumlich als auch inhaltlich immer stärker ausgeweitet werden: „Am 24. Juli 1939 wurde er auf Kunstwerke erweitert, die nach Maßgabe des österreichischen Denkmalschutzgesetzes sichergestellt waren, und dann auf die Kunstsammlungen der österreichischen Stifte und Klöster ausgedehnt. […] 9. Oktober 1940 wurde er auf das übrige Reichsgebiet übertragen und am 18. November 1940 auf alle beschlagnahmten beziehungsweise eingezogenen Kunstwerke in den besetzten Gebieten (Polen, Frankreich, Belgien, Niederlande und Luxemburg) erweitert. Er galt nun grundsätzlich auch für die noch zu besetzenden Gebiete, gleichwohl gab es zusätzliche spezielle Anordnungen: Am 11. Mai 1941 […] für das Protektorat Böhmen und Mähren und am 24. Juli 1941 für ‚die besetzten und zu besetzenden russischen Gebiete‘ […]. Seit dem 29. November 1942 galt er auch für Münzen- und Medaillensammlungen […], ab dem 12. Juni 1943 für Waffensammlungen. Zudem wurde er auch auf Bibliotheksbestände angewandt. Es folgte am 17. Juni 1944 noch eine Erweiterung auf Kunstwerke und Kunstsammlungen, die dem Reich verfallen waren. Hitler hielt an seinem Recht auf prioritären Zugriff für geraubte Kunstwerke nicht nur bis zuletzt fest, am Ende des Krieges umfasste der Geltungsbereich des ‚Führervorbehalts‘ das Deutsche Reich und alle besetzten Gebiete.“ (S. 258f.).

 

Die Durchsetzung hing „zu einem hohen Grad vom unermüdlichen Einsatz und hartnäckigen Beharren Hans Posses und seiner Mitarbeiter ab“, die „durchweg eine entschlossene Haltung an den Tag (legten), kostenfrei auf die beschlagnahmten Kunstwerke zugreifen zu können“ (S. 264). In Konflikten mit widerstrebenden Kräften - so hegten nicht nur Generalgouverneur Hans Frank oder der Gauleiter und Reichsstatthalter des Warthegaus, Arthur Greiser, durchaus eigene Vorstellungen über die Verwendung der in ihrem Herrschaftsbereich konfiszierten Kunstwerke – obsiegte letztlich das Führerprinzip. Dass Hitler dabei auf eine klare gesetzliche, konkurrierende Ansprüche und die damit verbundenen Schwierigkeiten von vornherein ausschließende Regelung verzichtet hat, erklärt die Verfasserin mit seinem Bestreben, „seine eigene Person deutlich von den kriminellen Akten des NS-Kunstraubs abzurücken“. Lammers führte daher mehrfach schriftlich aus, dass der ‚Führervorbehalt‘„keinesfalls Anlass zur Einziehung einer Kunstsammlung geben“ könne, sein Geltungsbereich erfasse ausschließlich „Fälle, in denen auf Grund bestehender Vorschriften eine Einziehung bereits erfolgt ist“ (S. 266). Eine andere Argumentationslinie, die das Unrecht der Beschlagnahmen heilen sollte, stützte sich auf „die historisch durchaus ableitbare Vorstellung, Frankreich habe in Deutschland jahrhundertelang gezielt Kunstraub betrieben, vom Pfälzischen Erbfolgekrieg 1688/89, der in den Darstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts als Raubkrieg Ludwigs XIV. bezeichnet wurde, bis hin zu Napoleons Feldzügen. Das daraus erwachsene Ressentiment verdichtete sich nach dem Ersten Weltkrieg, als der Versailler Vertrag von Deutschland und Österreich Auslieferungen von Kunst- und Kulturgütern erzwang, zu einer kollektiven Paranoia“ (S. 137). Die im August 1940 angeordnete Erfassung aller Kunstwerke, „die überhaupt im Laufe der letzten 3 Jahrhunderte, gleichgültig von wem und wohin, in Deutschland geraubt worden oder von fremden Mächten in Deutschland zerstört worden sind“ (S. 148), unter Leitung Otto Kümmels und unter Beiziehung mehrerer Mitarbeiter Posses (sogenannter „Kümmel-Bericht“) zum Zwecke ihrer Rückführung erschien somit historisch legitimiert.

 

Birgit Schwarz spricht von „mindestens 50.000 Objekten […], die der NS-Kunstraub für Hitlers Verteilungsprogramm geliefert“ habe. Noch wichtiger sei die qualitative Ebene: „Es waren mit die besten Kunstwerke Europas, die der deutsche Diktator in seine Verfügung gebracht hat, und das auch ohne an die Bestände der Eremitage und des Louvre gelangt zu sein“ (S. 268). Für ihre Restitution nach dem Krieg war „der Umstand von außerordentlicher Bedeutung, dass Hitlers Kunstraub von ausgebildeten Kunsthistorikern, oft erfahrenen Museumsleuten, ausgeführt wurde. Die Sammlungen des ‚Führers‘ erlitten während des Krieges erstaunlich wenige Verluste; der größte Schwund dürfte durch Plünderungen in den letzten Kriegstagen und Diebstähle in der Nachkriegszeit zustande gekommen sein“, es sei für Sicherheit, Transport, Konservierung und Restaurierung der Kunstwerke ein „gigantisch(er) Aufwand“ getrieben worden (S. 274). Der späteren Restitution kam vor allem zugute, dass im Zuge der fachmännischen Inventarisierung die unmittelbaren Vorbesitzer erfasst und auch in den Bestandskatalogen der Depots akribisch vermerkt wurden. Als erstes namhaftes Kunstwerk wurde der von den Amerikanern im Depot des Salzbergwerks in Altaussee sichergestellte und in den Collecting Point nach München gebrachte Genter Altar am 3. September 1945 im Rahmen eines festlichen Aktes von der amerikanischen Militärregierung an Belgien zurückgegeben. In Wien führte das Denkmalamt, einst als Zentralstelle für Denkmalschutz „Erfüllungsorgan des ‚Führervorbehaltes‘“ (S. 67) und damit „einer der wichtigsten Handlanger des Kunstraubes“ (S. 276), die Restitution durch - mit weitgehend identischem Personal. Wie so oft scheint hier die Kontinuität fachlicher Kompetenz wichtiger gewesen zu sein als politisch akzentuierte Sünden der Vergangenheit. Einem gravierenden sachlichen Irrtum unterliegt die Verfasserin, wenn sie das Grazer Landesmuseum Joanneum in Klagenfurt verortet (S. 133). Dessen Restitutionsarbeit, die in zwei umfassenden, hier unberücksichtigt gebliebenen Berichten dokumentiert ist und vor allem in einem eigenen, im Jahr 2000 beschlossenen Steiermärkischen Landesverfassungsgesetz zur Rückgabe fraglicher Erwerbungen aus während der NS-Zeit entzogenem Eigentum ihren rechtlichen Niederschlag gefunden hat (vgl dazu: www.museum-joanneum.at/das-joanneum/unser-betrieb/restitution.html, Zugriff am 6. 9. 2014), wäre durchaus der Erwähnung wert gewesen.

 

Bereits Hitlers frühe private, regulär im Kunsthandel erworbene Sammelstücke – darunter Meisterwerke des von führenden Nationalsozialisten wie Rosenberg und Goebbels verpönten Arnold Böcklin - ließen den Befunden der Verfasserin zufolge erkennen, dass das weithin verbreitete, auf Albert Speer zurückgehende Vorurteil „von der absoluten Mediokrität der Hitler’schen Gemäldesammlung und der Spießigkeit seines Geschmacks“ die Realität nicht trifft: Eine „qualitative Unausgeglichenheit“ sei „nicht untypisch für Privatsammlungen“ und hänge damit zusammen, „dass Sammeln auch ein Lernprozess ist, ein ständiges Verbessern und Vertiefen des Kenntnisstandes“. Qualitätsunterschiede seien bei Hitler auch „das Ergebnis wachsender finanzieller und Machtressourcen, […] parallel dazu gewann er immer kompetentere Berater“ (S. 26). Irrig seien auch die verbreiteten Vorstellungen über das Kunstmuseum Linz, das geplante „Führermuseum“, welches „keineswegs ein gigantisches Museum geworden (wäre) und schon gar nicht das größte Museum der Welt […]. Die unter dem ‚Führervorbehalt‘ in ganz Europa beschlagnahmten Kunstwerke wären eben nicht in ein gigantisches Museum eingegangen, wie es der Mythos will, sondern von Hitler auf deutsche Museen verteilt worden“ (S. 102). Ein Besuch der Uffizien in Florenz im Mai 1938 habe Hitler in dieser Sache entscheidend geprägt und ihn für eine föderalistische Konzeption gewonnen. Der Band vermittelt damit nicht zuletzt auch für künftige Hitler-Biographen manche interessante neue Information.

 

Kapfenberg                                                                           Werner Augustinovic