Reform und Revolte. Eine Rechtsgeschichte der 1960er und 1970er Jahre, hg. v. Löhnig, Martin/Preisner, Mareike/Schlemmer, Thomas. Mohr (Siebeck), Tübingen 2012. 391 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wie die Herausgeber in ihrer Einleitung über Dynamik und Liberalisierung in Westdeutschland zutreffend betonen, wurde die Historisierung der Jahre zwischen 1960 und 1980 durch die Rechtsgeschichte und die rechtlich orientierte Zeitgeschichte bisher nicht ausgeführt, wofür sie als möglichen Grund nennen, dass geltendes Recht für viele nicht Gegenstand der Geschichte sein kann. Demgegenüber sprechen sie sich trotz aller damit verbindbaren Problematik überzeugend für eine geschichtliche Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit aus. Aus diesem Grunde veranstalteten sie an der Universität Regensburg im Sommersemester 2011 eine Ringvorlesung, deren Beiträge den wesentlichen Inhalt des vorliegenden Sammelbands bilden.

 

Insgesamt vereinigt das Sammelwerk 20 Vorträge unter einer die juristische Zeitgeschichte von Dynamik und Liberalisierung in Westdeutschland geprägt sehenden Einleitung der Herausgeber, nach der Patrick Bernhard fragt, ob wirklich alles locker, flockig, liberal war. Danach geht es etwa um die Auseinandersetzungen um die Einführung der Gesamtschule, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Gruppenhochschule aus dem Jahre 1973, den zivilen Ersatzdienst oder die Psychiatriereform. Dieter Schwab stellt das Familienrecht dar, Reinhard Richardi die Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung, Thorsten Kingreen das Sozialrecht, Mareike Preisner den Verbraucherschutz und Martin Löhnig die Aktienrechtsreform des Jahres 1965.

 

Für das Strafrecht und Strafprozessrecht behandelt Michael Kubiciel die strafrechtstheoretische Diskussion, schildert Thomas Schlemmer den Zusammenhang zwischen Wertewandel und Sexualstrafrecht und erörtert Franziska Osterholzer die Änderungen der Strafprozessordnung im Zuge der Terrorismusbekämpfung, für die Johannes Hürter auf den Balanceakt zwischen Sicherheit, Recht und Freiheit hinweist. Henning Ernst Müller widmet sich dem Verhältis  zwischen den sogenannten 68ern wie etwa Fritz Teufel und der Justiz, während weitere Studien die Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst von 1972, die Notstandsgesetze oder die Finanzverfassung einer kritischen Betrachtung unterziehen. Das vielfältige neue Erkenntnisse bietende, mit einem hilfreichen Sachverzeichnis von Abitur bis „68er“ versehene Forschungswerk wird mit einem Überblick in Auswahl über zwei Jahrzehnte Rechtsetzung in der Bundesrepublik durch Knut Wolfgang Nörr abgeschlossen, so dass der Band insgesamt jedermann wesentliche Einsichten über Gründe, Werden, Wesen, Wirkungen und Folgen vieler rechtlich bedeutsamer Geschehnisse zwischen 1960 und 1980 vermitteln kann, selbst wenn aus zahlreichen wertvollen einzelnen Beiträgen eines großen Mosaiks eine einheitliche Rechtsgeschichte dieser Zeit erst noch geschaffen werden muss.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler