Otterbeck, Alexander, Das Finanzamt Bonn im Nationalsozialismus (= Rechtsgeschichtliche Studien 68). Kovač, Hamburg 2014. 277 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert ist die Tätigkeit des Reichsfinanzamts und der ihm unterstellten Finanzämter vermehrt Gegenstand historischer, auch rechtshistorischer Forschungen (Überblick S. 37ff.), die sich besonders mit der fiskalischen Ausplünderung der jüdischen Mitbürger und der Arisierung ihres Vermögens befassen. Die Kölner rechtshistorische Dissertation befasst sich mit dem Finanzamt Bonn unter dem Nationalsozialismus, für das noch keine Detailuntersuchungen vorlagen. Die archivalische Quellenüberlieferung bezieht sich im Wesentlichen auf Unterlagen, welche die Abgaben und Steuern von Juden und die Verwertung und Verwaltung ihres eingezogenen Vermögens betreffen. Der größte Teil der Aktenüberlieferung betrifft nicht Einzelvorgänge, „sondern beinhaltet Aufstellungen und Berechnungen, so dass lediglich die Ergebnisse der Verwaltungstätigkeit sichtbar werden, nicht aber das vorausgegangene Handeln“ (S. 37). Das Finanzamt Bonn war 1919/1920 als Teil der dreistufigen Reichsfinanzverwaltung begründet worden (S. 59f.) und war zuständig für den Landkreis Bonn (u. a. für Godesberg, Poppelsdorf) und umfasste zu Kriegsbeginn 360 Bedienstete (S. 76). 1933 lebten im Bezirk des Bonner Finanzamts 1268 (0,8% der Gesamtbevölkerung), 1939 669 und im November 1941 noch über 400 jüdische Mitbürger.

 

Nach einem Überblick über den Forschungsstand (S. 34ff.) und über die Organisation des Finanzamts Bonn in der NS-Zeit folgt der umfangreiche IV. Abschnitt über „Rechtsgrundlagen und Verwaltungstätigkeit“ (S. 79-268). Es werden ausführlich behandelt die 1931 eingeführte und unter dem Nationalsozialismus erheblich verschärfte Reichsfluchtsteuer, die sofort nach der Reichspogromnacht eingeführte Judenvermögensabgabe, die Anmeldung „feindlichen“, polnischen und amerikanischen Vermögens, die Enteignung, die Vermögensverwaltung und Vermögensverwertung vor und nach der Massendeportation sowie die Behandlung des Vermögens der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (u. a. Verwaltung der Friedhöfe). Soweit überliefert stellt Otterbeck die Beträge der erhobenen Steuern und Abgaben sowie die Werte der enteigneten Vermögensgegenstände zusammen, die sich für den Bezirk des Finanzamts Bonn auf insgesamt mindestens 6 Millionen RM beziffern lassen (S. 277). Detaillierte, nach Personen geordnete Zusammenstellungen bringt Otterbeck für die Reichsfluchtsteuer (S. 90ff.), für die Befreiung von der Judenvermögensabgabe (S. 120f.), über die Rückstände hinsichtlich der Abgaben (S. 134ff.), über die Abgabepflichtigen insgesamt (S. 139ff.), über die Sicherungsanordnungen (S. 163ff.), für die zum 1. 11. 1939 steuerlich geführten Juden (S. 163ff.) und für die dem Deutschen Reich verfallenen jüdischen Grundstücke (S. 190-216) sowie für die Versteigerung beweglichen Vermögens in den Jahren 1943/1944 (S. 229ff.). Detailliert werden auch einige Einzelfälle behandelt (u. a. für die Vermögensabgabe S. 145ff.). Auf den Seiten 273 bis 277 fasst Otterbeck die Ergebnise der Untersuchungen präzise zusammen. Wie er feststellt, lassen sich „fiskalische Diskriminierung und Verfolgung“ von Juden erst für die Zeit ab 1938 nachweisen (S. 276). Belege dafür, dass die Finanzbeamten in Bonn „frühzeitig ihren Ermessensspielraum zu Ungunsten jüdischer Steuerpflichtiger nutzen und diese schließlich bewusst benachteiligten“, ließen sich nicht finden. Überhaupt lasse sich „eine antisemitische Grundhaltung bei Ermessensentscheidungen oder eine Bereitschaft zur Enteignung auch ohne gesetzliche Vorschrift oder Anordnung“ nicht nachweisen (S. 277). Insgesamt vermitteln die Untersuchungen und besonders die Aufstellungen Otterbecks einen deprimierenden und beschämenden Eindruck über die Praxis eines unteren Finanzamts des Reichs während der NS-Zeit, wie er bisher kaum so detailliert veröffentlicht wurde. Bedauerlich ist die dem Verfasser auferlegte vollständige Anonymisierung der Quellen. Gerne hätte man noch einen Ausblick auf die Wiedergutmachung besonders hinsichtlich der Bonner jüdischen Grundstücke gelesen. Insgesamt erweitert das Werk Otterbecks die Kenntnisse über das durch Gesetze, Verordnungen und Erlasse gesteuerte Unrechtssystem des Nationalsozialismus, dessen Erforschung auch weiterhin eine wichtige Aufgabe der Rechtsgeschichte darstellt.

 

Kiel

Werner Schubert