Martin,
Elisabeth, „Ich habe mich nur an das geltende Recht gehalten“
– Herkunft, Arbeitsweise und Mentalität der Wärter und Vernehmer der Stasi-Untersuchungshaftanstalt
Berlin-Hohenschönhausen. Nomos, Baden-Baden 2014. 465 S., 12 Abb. Besprochen
von Ulrich-Dieter Oppitz.
Der vorliegende Band wurde
im Juli 2014 an der Universität Passau als philosophische Dissertation
verteidigt. Die Autorin hat u. a. zwischen 2009 und 2012 in der Gedenkstätte
Berlin-Hohenschönhausen gearbeitet. Als zentrale Frage stellte sich die Autorin
für ihre Untersuchung: Welche Faktoren und Mechanismen waren dafür
verantwortlich, daß die Mitarbeiter zweier Abteilungen des
Staatssicherheitsdienstes der früheren Deutschen Demokratischen Republik die
von ihnen verlangten Tätigkeiten widerspruchslos und möglichst motiviert
ausführten und den reibungslosen Haft- und Vernehmungsbetrieb über nahezu 40
Jahre garantierten? In einem informativen Überblick zur Entwicklung der
Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen werden die Entstehung der politischen
Polizei in der früheren sowjetschen Besatzungszone und die Funktion und
Strukturentwicklung der beiden Abteilungen umfassend dargestellt. Zur Linie XX
(S. 72) fehlen leider nähere Aussagen. Deutlich wird bereits zu Beginn der
Untersuchung die Funktion der Untersuchungshaft in SBZ und DDR herausgestellt:
sie dient nicht lediglich dazu sicherzustellen, dass sich ein Verdächtigter
nicht seinem Strafverfahren entzieht, sondern ihre Funktion ist es, durch ihre
Ausgestaltung und die regelmäßigen Vernehmungen die Grundlagen für ein
Strafverfahren, möglichst bei ausführlicher Selbstbezichtigung des Gefangenen,
zu schaffen. Für diesen besonderen Zweck war es wesentlich, dass die
Mitarbeiter grundsätzlich nicht aufgrund einer allgemein zugänglichen
Ausschreibung ausgewählt wurden, sondern für diese Tätigkeit gezielt
angesprochen wurden. Dadurch war von vornherein sichergestellt, dass eine
starke Systemnähe Einstellungsvoraussetzung war und die Mitarbeiter mit dem
Ziel der ‚Untersuchungshaft‘ vertraut waren.. Damit ist auszuschließen, dass
irgendein Mitarbeiter, der an diesen Tätigkeiten mitgewirkt hat, dies ohne
seine freie Entscheidung getan hat. Die Tatsache, dass bei der Einstellung
neuen Personals höherwertige Qualifikationen nicht zu sehr Bedeutung hatten,
zeigt die Überzeugung der Einrichtung, ihre Mitarbeiter besser für ihre Aufgaben
schulen zu können, als dass man hier auf externe, sozialistisch geprägte
Einrichtungen zurückgreift. Die Möglichkeit des Besuchs einer eigenen
Hochschule war eine besondere Qualifizierungsmöglichkeit und gab den
Mitarbeitern den Eindruck einer wissenschaftlichen Aufgabenerfüllung.
Zum Profil und zur Prägung
der Mitarbeiter wurden aus den Personalakten, soweit diese verfügbar waren,
Unterlagen zu Mitarbeitern, die 1953 beim Aufbau und 1989 beim Ende der
Tätigkeit der Einrichtungen tätig waren,
ausgewählt und nach strukturierten Fragestellungen ausgewertet. Zum Zeitraum
1953 wurden für nahezu alle Mitarbeiter 110 Akten ausgewertet; zu 1989 wurden
aus den Kaderakten der 739 Mitarbeiter lediglich 75 ausgewählt. Nach
statistischen Grundsätzen erscheint diese Anzahl für signifikante Aussagen zu
gering. Hierdurch sind die darauf gestützten quantitativen Aussagen, wie sie in
den Schaubildern dargestellt werden, in der Tendenz wohl näherungsweise zutreffend,
wenn auch zufallsbehaftet.
Aus den zahlreichen und
gründlich ausgewerteten internen Unterlagen, die der Autorin zur Verfügung
standen, wird ein Einblick in ein System gewährt, welches auch nicht in
Ansätzen in einem Rechtsstaat zu finden ist. Die Untersuchung bestätigt in zahlreichen
Einzelbeispielen, dass auch die Richter der Strafjustiz in diesem Ablauf ihre
vorbestimmte parteiische Rolle hatten. Sie hatten ohne eigene
Entscheidungsmöglichkeit die Ergebnisse der Untersuchungsführer in Entscheidungen
umzusetzen, da sie sonst wohl nur noch, wenig karrierefördernd,
Karnickeldiebstähle (S. 412) abzuurteilen gehabt hätten.
Neben der Art der
Personalgewinnung war es wichtig, die Mitarbeiter durch Anreize zu motivieren.
In einer staatlichen Mangelwirtschaft genügten hierfür schon relativ geringe
Vergünstigungen wie Sondereinkaufsmöglichkeiten und Bevorzugung bei Wohnungssuche und Ferienaufenthalten. Während
und außerhalb ihres Dienstes unterlagen die Mitarbeiter einer weitreichenden
und überaus sorgfältigen Kontrolle. Die Autorin gewährt durch ihre
Beobachtungen einen guten Einblick in die wirksam gewordenen Mechanismen.
Mehrfach werden in der
Studie der Zentrale Medizinische Dienst und die Zusammenarbeit mit zivilen
medizinischen Einrichtungen erwähnt. Leider ist auf die Organisation und das
dabei tätige medizinische Personal nicht eingegangen. Neben den juristisch
beeinflussten Stützen des Systems wäre damit auch ein Blick auf die medizinisch
gebildeten Helfer des Systems möglich geworden. Die in Hohenschönhausen Tätigen
hatten militärische Ränge. Die Studie lässt leider nicht erkennen, welche Ränge
die zuletzt 739 Tätigen bekleidet haben. Es wäre schon interessant gewesen, die
Verteilung zwischen Offizieren, Unteroffizieren und gegebenenfalls anderen
Mitarbeitern zu sehen. Wenn auch das Arbeitsgebiet der Einrichtungen der Studie
weitgehend unvergleichbar zu Einrichtungen eines Rechtsstaats ist, so kann doch
die Ansicht der Autorin nicht geteilt werden, Vernehmungsprotokolle würden nur
bei Stasi und Gestapo in die Sprache der Protokollierenden (S. 264) übersetzt.
Diese „Übersetzung“ erfolgt in allen Einrichtungen, die nicht zu einem
wörtlichen Protokoll der Aussage des Vernommenen verpflichtet sind; hier haben
noch jetzt viele Institutionen der Strafverfolgung Nachholbedarf.
Glücklicherweise ist das
Abkürzungsverzeichnis der Arbeit nicht typisch für die Qualität der sonstigen
Arbeit; die Autorin verwendet leider zahlreiche eigene Abkürzungen (z.B. CDU,
NSDAP, SPD, UdSSR, UHVO [Fn.217], VdgB)
mit unüblichen Bedeutungserklärungen. Angesichts der zahlreichen
Namensnennungen wäre ein Personenregister eine erfreuliche Ergänzung gewesen.
Die Arbeit ist ihrer
Fragestellung durchaus gerecht geworden und gibt für das System, das durch
zahlreiche Hafterinnerungen in seinen unmenschlichen Auswirkungen bekannt
geworden ist, einen Einblick auf die Handelnden, die so handelten wie sie es
taten und durften. Es bleibt der
Eindruck, dass bei allen Maßnahmen sorgfältig auf die Außenwirkung gesehen wurde
und sichtbare Quälereien zu vermeiden waren. Hierauf haben alle Beteiligten
über Jahrzehnte geachtet.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter
Oppitz