Loew, Peter Oliver, Wir Unsichtbaren. Geschichte der Polen in Deutschland. Beck, München 2014. 336 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Geschichte der Menschen ist seit ihren Anfängen von der Spannung zwischen dem Einzelnen und der ihn einschließenden Gruppe bestimmt, aus der die verschiedensten Völker erwachsen sind, die sich lange Zeit durch die gemeinsame bzw. unterschiedliche Sprache bestimmt und abgegrenzt haben. Von ihnen werden im Laufe des Frühmittelalters zwischen Karpaten und Ostsee die Polen sichtbar, die innerhalb der Slawen um 960 in einer eigenen Einheit erscheinen. Seitdem sind sie in einem wechselvollen und auch schmerzreichen Nebeneinander östliche Nachbarn der Deutschen und ihres etwa gleichzeitig aus der Herrschaft der Franken geschaffenen Reiches.

 

Der sich ihnen im vorliegenden Taschenbuch widmende Verfasser wurde in Frankfurt am Main 1967 geboren und nach dem Studium der osteuropäischen Geschichte, Slawistik und Volkswirtschaftslehre in Nürnberg, Freiburg im Breisgau und Berlin 2001 mit einer Dissertation zur lokalen Geschichtskultur in Danzig zwischen 1793 und 1997 promoviert. Seit 2002 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am deutschen Polen-Institut Darmstadt tätig, befasst sich mit der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen und mit Minderheitsgeschichte, lehrt seit 2009 in Darmstadt, übersetzt aus dem Polnischen und Englischen und wurde in Dresden 2014 habilitiert. Seine Frau ist nach seiner Einleitung eine „Polin in Deutschland“ und er beobachtet den Umgang seiner beiden Kinder mit dem polnischen und dem deutschen Bestandteil ihrer Identität mit Faszination.

 

Sein neuartiges, eine Lücke schließendes Werk über die als Pflegekräfte, Allroundhandwerker, Spargelstecher, Bergleute, Putzfrauen, Musiker und Wissenschaftler wirkenden Polen, ohne die vieles in Deutschland nicht funktionieren würde, gliedert sich nach einer Einleitung in sieben Teile. Sie betreffen die Frage wie alles mit polnischen Prinzessinnen im Reich und anderen begann, die größte Minderheit Preußens als Folge der Teilungen Polens seit 1772, Polen in Deutschland zwischen den Weltkriegen, Vertreibung, Germanisierung, Zwangsarbeit und Vernichtung unter Adolf Hitler, versprengte Existenzen nach dem zweiten Weltkrieg und anschließende Masseneinwanderung und schließlich die Minderheit der Gegenwart, die immer noch unsichtbar, doch nicht mehr wegzudenken ist. Insgesamt bietet er auf diesem ansprechenden geschichtlichen Durchgang ein vielfältiges, mit 26 Illustrationen, Anmerkungen, einem 20seitigen Literaturverzeichnis, einem Ortsregister von Aachen bis Zweibrücken und einem Personenregister von Jankel Adler über Adolf Hitler bis zu Teresa Żylis-Gara angereichertes Bild von etwa zwei Millionen Menschen in Deutschland, die als „wir“ Unsichtbaren Polen sind, Polnisch sprechen oder aus Polen stammen und damit nach den Türken die größte Einwanderergruppe bilden, deren Wirken und Wertschöpfung besondere Beachtung und Anerkennung verdient.

 

Innsbruck                                                                              Gerhard Köbler