Kontinuitäten im Naturschutz, hg. v. Franke, Nils M./Pfenning, Uwe. Nomos, Baden-Baden 2014. 264 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der Band gibt die Vorträge wieder, die auf der vom Ministerium für Umwelt des Landes Rheinland-Pfalz zu Mainz ausgerichteten Tagung vom 29. 11. 2012 über Akteure, Netzwerke und Konzepte des Naturschutzes in der frühen Bundesrepublik gehalten wurden. Hinzu kommen noch vier weitere Beiträge, die mit der Tagungsthematik zusammenhängen. In seinem weit ausgreifenden Beitrag „,Wie das Land, so das Volk, wie das Volk, so das Land‘: Landschafts- und Länderkunde (die klassische Geographie) auf weltanschaulichen Abwegen“ (S. 23-79) arbeitet H.-D. Schultz den Begriff der „völkisch-deutschen Kulturlandschaft als rassisch gebundenes Werk zahlreicher Generationen“ heraus. Noch 1943 stellte J. H. Schultze fest, „es lässt sich also feststellen, dass es im Allgemeinen überhaupt keine internationalen, völkisch indifferenten, sondern nur völkisch betonte Kulturlandschaften gibt“ (S. 58). Die Frage nach der „Raum-Gerechtigkeit“ führte zum Kolonisierungsplan Generalplan Ost, der für die eingegliederten Ostgebiete die Schaffung einer „bäuerlich-deutschen Kulturlandschaft“ zum Ziel hatte (Behrens, S. 156; vgl. Schultz, S. 68). Nils M. Franke befasst sich in seinem Beitrag: „,Keine Überspitzung der Demokratie zulassen.‘ Kontinuitäten von Personen und Netzwerken im Naturschutz zwischen 1933 und 1970“ (S. 81-95), und zwar mit H. Klose (von 1938-1945 Leiter der Reichsstelle für Naturschutz; nach 1945 u. a. von 1952 bis 1954 Leiter der Zentralstelle für Naturschutz und Landschaftspflege), mit dem für die Landschaftsumgestaltung und Raumplanung in den östlichen Gebieten befassten Akteuren (später an der TU Hannover) und mit Beamten des Reichsforstamtes, die in Baden-Württemberg unterkamen. Einen eigenen Beitrag: „Der Schutz einer ,deutschen Natur‘. Der lange Schatten Walther Schoenichens“ (S. 97-109) widmet Ludwig Fischer Schoenichen, einem der maßgeblichen Programmatiker des Naturschutzes in der Weimarer und in der NS-Zeit (S. 106), der auch noch nach 1945 noch nicht voll aufgearbeitete Werke zum Naturschutz veröffentlichte.

 

Bernhard Gißibl geht unter der Überschrift „Frevert und die großen Tiere: Jagd, Herrschaft und der Schutz von ,Urnatur‘ zwischen ,deutschem Osten‘, Schwarzwald und Ostafrika“ (S. 111-135) ein auf die deutschen Großschutzgebiete im Osten und auf ähnliche Projekte in Ostafrika, wo in den 1950er Jahren Walter Frevert (von 1936-1945 Oberforstmeister und als „rechte Hand des Reichsjägermeisters Hermann Göring“ [S. 113] u. a. für das Staatsjagdrevier Rominten und ab 1953 für das Staatsjagdrevier Kaltenborn des Landes Baden-Württemberg verantwortlich). Über personelle Kontinuitäten im östlichen Teil Deutschlands berichtet Hermann Behrens in dem Beitrag: „NSDAP-Mitglieder im antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaat? Der Neuanfang des Naturschutzes in der SBZ und der frühen DDR am Beispiel des Landes Brandenburg“ (S. 137-161; S. 150ff. auch Beispiele aus Thüringen). Nach Behrens konnten im Land Brandenburg und dann in den drei brandenburgischen Bezirken 31 Naturschutzbeauftragte „mit einer Vergangenheit als NSDAP-Mitglied ihr Ehrenamt“ wieder ausüben (S. 146). Hildegard Eissing beschäftigt sich mit den Verfassern der beiden maßgebenden Kommentare zum Reichsnaturschutzgesetz von 1935 (S. 163-180), und zwar mit Werner Weber/Schoenichen und mit Klose/Adolf Vollbach. Diese Kommentare aus der Zeit vor 1945 sind nach Eissing Beleg dafür, dass „der Naturschutz anschlussfähig an den Nationalsozialismus war und eine ,erhebliche ideologische Schnittmenge‘ mit ihm besaß“ (S. 175 nach Trittin). Eine Kurzfassung eines Aufsatzes von 2007 beschreibt die „österreichische Naturschutzbewegung im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen“ (S. 181-207), ohne dass die vier Autoren detaillierter auf die Zeit zwischen 1938-1945 eingehen (vgl. S. 188f.). Ludwig Trepl und Annette Voigt stellten in ihrem Beitrag: „Die Verwissenschaftlichung des Naturschutzes. Über die historischen Gründe der Ökologisierung und ihre Unangemessenheit“ (S. 209-244) heraus, dass sich der Naturschutz heute „im Wesentlichen als angewandte Ökologie“ verstehe (S. 210), die zum Nutzen des Naturschutzes auch die „kulturelle Perspektive“ (S. 234) berücksichtigen müsse (vgl. auch S. 223). Trepl/Voigt entwickeln zudem, dass „Naturschutz im Nationalsozialismus“ „aufs Engste verbunden“ gewesen sei, „mit Bestrebungen, im Dienst an ,Volk und Rasse‘ die Landschaft zu gestalten und zu verändern. Als Grundlage für die Landschaftsgestaltung wurden technisch relevante Wissenschaften wie Bodenkunde und Vegetationsökologie gefördert und auf praktische Naturschutzziele … ausgerichtet“. Dass diese Wissenschaften im Naturschutz bis heute eine so große Rolle spielen würden, „geht zumindest zum Teil auf die nationalsozialistische Naturschutzpolitik und deren Förderung von technisch relevanter Naturwissenschaft zurück“ (S. 216). Abgeschlossen wird der Band mit dem Beitrag von Uwe Pfenning und Bigna Fink: „Naturschutz in der Klemme. Zur Soziologie des Naturschutzes im Nationalsozialismus“, in dem die Autoren ein Programm zur Aufarbeitung von Konzeptionen und von „institutionellen Biographien wichtiger Naturschutzaktivisten aus der NS-Zeit“ entwickeln (S. 212).

 

Insgesamt ist als Ertrag des Bandes festzustellen, dass „vor dem Hintergrund der historischen Affinität von Naturschutz und Nationalsozialismus und seiner reichsweiten Institutionalisierung in der NS-Zeit“ „sich objektiv die Konsequenz“ ergebe, „dass von Anbeginn seiner Restrukturierung in der Bundesrepublik seine Bezüge zum Nationalsozialismus von unabhängigen Stellen intensivst hätten aufgearbeitet und dargestellt werden sollen“ (S. 253). Allerdings verwirklichen die Beiträge des Bandes die Aufarbeitung des NS-Naturschutzes erst im Ansatz. Von Wichtigkeit wären detaillierte Arbeiten über die Biographien der maßgebenden Naturschutzexperten der NS-Zeit sowie über die Naturschutzliteratur dieser Jahre und vor allem eine detaillierte Erforschung der Naturschutzpraxis zwischen 1935 und 1945. Der Aufsatzband ist auch für den Rechtshistoriker von großem Interesse, der interessiert ist an einer – bisher kaum entwickelten – kritischen Sicht des Naturschutzrechts und dessen Praxis in der NS-Zeit und in der Zeit von 1945 bis in die 1970er Jahre, als die personellen Kontinuitäten und Netzwerke aus der NS-Zeit durch eine „neue Generation von Naturschützern“ (S. 90) abgelöst wurden.

 

Kiel

Werner Schubert