Knauer,
Jan,
Helmut Palmer. Der Remstal-Rebell. Theiss, Darmstadt 2014. 240 S., 37 Abb., 1
Kart. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.
In den Jahren zwischen 1970 und 1980 prägte Helmut Palmer (1930-2004), ein Pomologe und Obsthändler aus dem Remstal, die Wahlkämpfe um Oberbürgermeister oder Bürgermeister besonders in Württemberg. In über 300 Kandidaturen bewarb er sich bei Wahlen um öffentliche Ämter. Dabei nutzte er die Möglichkeit der Direktwahl, die zu dieser Zeit nur in wenigen Bundesländern bestand. Knauer hat das Wirken Palmers 2011 in einer Tübinger Dissertation bei Dieter Langewiesche nachgezeichnet und gewürdigt. Die Ergebnisse dieser Studie sind in der vorliegenden Arbeit gestrafft dargestellt. Dankenswerterweise haben die Witwe Erika Palmer und Sohn Boris Palmer die Arbeit aus ihrer Kenntnis und aus ihrem Archiv gefördert. In neun Kapiteln werden die Lebensstationen zwischen der Jugend und der Lehrzeit in der Schweiz, über den ‚Obstbaumkrieg', in dem es für Palmer um einen besseren Schnitt der Obstbäume ging, die Kommunalwahlen und Parlamentswahlen, die verschiedenen zivil- und strafrechtlichen Prozesse und schließlich das Fazit aus den Bemühungen Palmers um eine Stärkung der Zivilgesellschaft präsentiert.
Dadurch gelang Knauer eine Annäherung an das Phänomen Palmer. Erst aus der im Detail beschriebenen Lebensgeschichte werden die Beweggründe für das öffentliche Auftreten verständlich. Die örtlichen Tageszeitungen haben leider in Verkennung ihrer Aufgabe einer objektiven Berichterstattung wenig dazu beigetragen, die Motive hinter Palmers Aktionen darzustellen und sie unvoreingenommen zu würdigen. In ihrer Schilderung ging es meist nur um eine besondere Form eines Klamauks.
In gleicher Weise wird das Zusammenwirken von Behörden, Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten beschrieben, das auch bei wohlwollender Betrachtung in überaus zahlreichen Fällen unverständlich ist.
Knauer zeigt auch die finanziellen Auswirkungen der zahlreichen Wahlkämpfe auf. Nach einer überschlägigen Rechnung von Erika Palmer kostete die Teilnahme an den Parlamentswahlen mit den Wahlkämpfen mehrere Millionen Mark, von denen nur ein verschwindend geringer Betrag als Wahlkampfkostenerstattung zurückfloss. Die über 80 Gerichtsverfahren brachten ihm über 400 Tage Freiheitsentziehung ein. Man muss festhalten, dass Palmer für seine Überzeugungen einen sehr hohen Preis für sich und seine Familie bezahlt hat.
Seinen Freunden und Unterstützern machte er es ebenfalls überaus schwer, denn von seinen Überzeugungen und dem jeweils dafür als richtig gehaltenen Weg konnte ihn wohl niemand abbringen. Wenige Personen, wie der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel und der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, brachten öffentlich ihre Sympathie für Palmers berechtigte Anliegen zum Ausdruck; der Mehrzahl galt er als krankhaft Irrender.
Als Fazit des Buches bleibt festzuhalten, dass Palmer seiner Zeit in vielen Punkten voraus war: der von ihm propagierte Obstbaumschnitt für Apfelbäume, den Verbandsfunktionäre über lange Jahre als Untergang des gewerblichen Obstanbaus verteufelten, hat sich zwischenzeitlich flächendeckend als überaus erfolgreiche und hoch gelobte Belebung des Obstanbaus durchgesetzt; sein Appell an die Kunden seiner Wochenmarktauftritte auf Plastiktüten zu verzichten, nahm die zwischenzeitlichen Regelungsbemühungen durch das zuständige Kommissariat der EU-Kommission um Jahrzehnte vorweg; die Bemühungen um die Verstärkung der Mitwirkungsrechte der Einwohner bei örtlichen Planungsvorhaben werden zwischenzeitlich von allen im Landtag Baden-Württembergs vertretenen Parteien in einem Maße gefördert, das weit über die Versuche und Wünsche Palmers hinausgeht – seine Bemühungen wurden als Angriff auf die repräsentative Demokratie bekämpft. Palmers Kämpfe wirken als ein Kampf gegen Windmühlen; an ihm ist exemplarisch die Ohnmacht des Einzelnen bei der Durchsetzung für richtig erkannter Ziele gegen eine geballte Macht der Beharrung zu erkennen. Knauers zahllose Beispiele rufen dies ins Bewusstsein.
Was Helmut Palmer selber nicht gelang, schaffte nach seinem Tod sein konzilianterer Sohn: nicht als Einzelbewerber, sondern unterstützt von einer Partei, ist er 2007 zum Oberbürgermeister Tübingens gewählt worden. Diese Aufgabe erfüllt er sicher nicht schlechter als seine Vorgänger und er geht mit guten Erwartungen in die Vorbereitungen einer zweiten Amtszeit.
Dies mag dem Vater eine späte Genugtuung sein.
Zu
wünschen wäre es, wenn das Familienarchiv mit den zahllosen Unterlagen zu den
Bemühungen Palmers in einem staatlichen oder städtischen Archiv bewahrt werden
könnte, denn für die Zeitgeschichte der Jahre zwischen 1960 und 2000 in
Baden-Württemberg enthält dieses Archiv gewiss einmalige Zeugnisse.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter
Oppitz