Kipp, Jürgen, Einhundert Jahre. Zur Geschichte eines Gebäudes 1913-2013. Ein Lesebuch. BWV, Berlin 2013. 395 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das Kammergericht in Brandenburg
bzw. Preußen ist das oberste Gericht des Reichskämmerers (Markgrafen von
Brandenburg) für die Mark Brandenburg (14. Jahrhundert des kemerers kamere tu
tangermünde, 1392 kammerrecht, 17. 3. 1468 Kammergericht). Von 1516 stammen der
Entwurf einer Kammergerichtsordnung, von 1540 (Cölln an der Spree) und 1709 in
Kraft getretene Kammergerichtsordnungen. 1748 wird das Kammergericht auch für
Strafsachen zuständig, 1782 Mittelinstanz und 1877/1879 mit den
Reichsjustizgesetzen Oberlandesgericht mit Sitz in Berlin, behält aber seinen
besonderen Namen und erhält 1913 einen den spätmittelalterlichen Erstbau
ersetzenden prächtigen Neubau im früheren botanischen Garten.
Der Verfasser der vorliegenden Gebäudegeschichte wurde in
Walsrode in Niedersachsen 1946 geboren und nach dem Studium der
Rechtswissenschaft in Göttingen und Tübingen sowie den beiden juristischen
Staatsprüfungen im Mai 1976 Richter auf Probe im Lande Berlin. Über das
Verwaltungsgericht Berlin kam er 1985 an das Oberverwaltungsgericht Berlin und
nach einer Rückkehr an das Verwaltungsgericht 1992 an das
Bundesverwaltungsgericht, von dem er 2002 an das Oberverwaltungsgericht
zurückkehrte, als dessen Präsident (2005 Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg) er bis zu seinem Ruhestand Ende 2011 amtierte. Erfreulicherweise
hat er sich mit dem hundertjährigen Rückblick auch der ordentlichen
Gerichtsbarkeit eindrucksvoll zur Verfügung gestellt, was er in der Einleitung
überzeugend mit „Referenz“ gegenüber dem Beitrag des Kammergerichts zur
rechtsstaatlichen Entwicklung in Deutschland begründet.
Gegliedert ist das sehr gefällige Lesebuch lose in
zahlreiche Einzelabschnitte. Sie betreffen den Bauplatz, den Kleistpark, das
Gerichtsgebäude (mit 540 Räumen), die Einweihungsfeier samt ihren Gästen, die
kurze Zeit vor dem ersten Weltkrieg, Franz Schlegelberger, eine
Richterversammlung, Untermieter, die Intervention des Senatspräsidenten am
Oberverwaltungsgericht Grützner gegen den Berichterstatter Fränkel am
Kammergericht, das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, die
Rechtsprechung während der nationalsozialistischen Herrschaft, den am 1. Mai
1943 ernannten Präsidenten Johannes Block, den Volksgerichtshof als Gast, das
Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, die Tagung des Weltgerichtshofs
vom 18. Oktober 1945 im Kammergerichtsgebäude, die alliierten Siegermächte, die
Ermordung des Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann, den mitnutzenden
Verfassungsgerichtshof und die heutige Lage sowie das Schicksal des Gebäudes
als solchen. Insgesamt wird in diesen vielfältigen Bildern dem geschichtlich
wie rechtspraktisch sehr bedeutsamen Gericht die ihm gebührende Reverenz in
eindrucksvoller Weise erwiesen.
Innsbruck Gerhard Köbler