Kindler, Martin, Affectionis aestimatio. Vom Ursprung des Affektionsinteresses im römischen Recht
und seiner Rezeption (= Schriften zur europäischen Rechts- und
Verfassungsgeschichte 58). Duncker & Humblot, Berlin 2012. 224 S. Besprochen
von Gerhard Köbler.
Die mit einem Zitat Iherings (Jherings) von 1880 einsetzende Untersuchung will sich mit der Berücksichtigung und der juristischen Bedeutung rein subjektiver Wertschätzungen einer Sache, die über die allgemeine Wertschätzung hinausgehen, befassen, das heißt über das, was sich am Markte bei der Veräußerung der Sache erlösen ließe. Dies ist ein praktisch bedeutsamer Problembereich, der mit der Individualiät des Menschen kaum trennbar verbunden ist und spätestens von der Inbesitznahme von Gegenständen an zu Streitigkeiten geführt haben dürfte. Von daher lässt sich der Gegenstand auch vom römischen Recht bis zur Gegenwart verfolgen.
Die vorliegende Untersuchung ist die von Martin J. Schermaier betreute, im Sommersemester 2011 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn angenommene Dissertation des zeitweise als wissenschaftlicher Mitarbeiter seines Lehrers tätigen Verfassers. Sie gliedert sich nach einer Einführung über den Gegenstand, die affectio in den Quellen, den Stand der Forschung und den Gang der Untersuchung in drei Teile. Sie betreffen die hermeneutische Fragestellung in der Form der Suche nach dem Ersatz des Affektionsinteresses in den römischrechtlichen Quellen, die Fallentscheidungen des klassischen Rechtes zur affectio (actiones arbitrariae, gemischte Strafklagen, Iudicia bonae fidei, strenge Klagen, besondere Verfahren) mit Einbeziehung der nachklassischen Entwicklungen bis und unter Justinian und die Bedeutung der affectio für die Selbstschätzung durch den Kläger (iusiurandum in litem und seine Wirkungsgeschichte).
Am Ende fasst der Autor seine vielfältigen Einsichten in insgesamt 10 Thesen zusammen, die zeigen, dass die römische affectio die Zeit überdauert hat, weit abgerückt von der klassischen Frage, wie sich das pretium rei für die condemnatio pecuniaria bestimmen lässt. Während für das Prozessrecht § 287 I 1 ZPO mit der richterlichen Schadensschätzung einen Schlussstrich unter die Entwicklung des Schätzungseids zieht, löst sich für das materielle Schadensrecht die Pandektistik von moralisierenden bzw. strafrechtlichen Vorstellungen und hält § 253 I BGB von einer Abstufung nach Verschuldensgraden frei. Auffällig erscheinen in der den Plural maiestatis gerne gebrauchenden Arbeit etwa die Bezeichnungen commumen litium aestimationem (S. 15) oder litigosus sowie die Trennung iusi-iurandum.
Innsbruck Gerhard Köbler