Jin, Shoufu, Richten und Schlichten. Formen, Normen und Werte der altägyptischen Rechtskultur (= Xenia – Konstanzer althistorische Vorträge und Forschungen 50). UVK, München 2014. 332 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Wie grundsätzlich überall, so sind auch in der Geschichte des Rechtes die Anfänge von besonderem Interesse, selbst wenn Auswirkungen auf die Gegenwart nicht wirklich spürbar sind. Grundsätzlich kann man dabei davon ausgehen, dass der Mensch zwar wohl in der Wärme Ostafrikas entstanden sein, dass aber der Ursprung der Zivilisation mit der Sesshaftigkeit im vorderen Orient zusammenhängen könnte. Jedenfalls stammen die ersten nicht nur erschlossenen, sondern tatsächlich überlieferten Zeugnisse aus diesem Gebiet, zu dem im weiteren Sinne auch Ägypten noch gezählt werden kann.

 

Dass an seinen Gegebenheiten auch in der Gegenwart noch Interesse auf der gesamten Erde besteht, zeigt nichts besser als die vorliegende Untersuchung des Verfassers, der von 1991 an in Heidelberg studierte und an der philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg im Jahre 2000 mit einer früheren, von Jan Assmann betreuten Fassung (Die Tugenden des Richters im Alten Ägypten) promoviert wurde. Nicht zuletzt auf Grund dieser für den jetzigen Druck kaum veränderten Arbeit wurde er Professor der Ägyptologie der Fudan-Universität in Schanghai, von der er an die School of History der Capital Normal University in Beijing (Peking) wechselte. Gegliedert ist seine weiterführende, interessante Untersuchung in insgesamt acht Kapitel.

 

Sie betreffen nach einem erhellenden Vorwort des Betreuers und einer kurzen Einleitung den Richter als Beauftragten des Königs, den Richter und das Gericht, den Richter und die Gesetze, die Gerechtigkeit des Richters, den Richter als Hörer, den Richter als Schlichter, den Richter als Retter und den Richter als Ordnungshüter, wobei es zu den wichtigsten Ergebnissen des Werkes gehört, dass es im alten Ägypten zumindest während der klassischen Epochen der ägyptischen Geschichte weder einen hauptberuflichen Richter noch ein von Juristen geschaffenes, ausgelegtes und angewendetes Recht gab. Gleichwohl ist von einer reich entwickelten altägyptischen Rechtskultur auszugehen, in der unterschiedliche ehrenamtliche Amtsträger bzw. hohe Beamte und Würdenträger wohl im Auftrag des „Rechtssouveränität innehabenden“ Königs ehrenvoll in Tugenden (Gerechtigkeit, Unparteilichkeit mittels Zuhörens, Richtens, Schlichtens und Verhütens) handelnd Entscheidungen trafen, sofern nicht zwischen einem Täter und einem Opfer unterschieden und „dem Opfer durch Bestrafung des Täters zu seinem Recht verholfen werden muss“. Insgesamt gelingen dem Verfasser durch Sammeln reichen verstreuten Materials und durch eigenständiges Verwerten vielfältige interessante Erkenntnisse einer frühen Alternative zu dem anscheinend später andernorts und danach mehr und mehr weltweit durchgesetzten Verständnis des Rechtes als rationale Leitlinie für Entscheidungen von Interessenkonflikten.

 

Innsbruck                                                                  Gerhard Köbler