Hoff, Hans-Henning, Hafliði Másson und die Einflüsse des römischen Rechts in den Grágás (= Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 78). De Gruyter, Berlin 2012. XV, 449 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Herkunft eines Rechtssatzes oder einer Menge von Rechtssätzen gehört zu den zentralen Forschungsgegenständen der Rechtsgeschichte von ihren Anfängen an. Für die germanistische Rechtsgeschichte stellt sich dabei angesichts der Beschränktheit der verfügbaren Erkenntnisquellen für die frühe Zeit vor allem auch die Frage der Urtümlichkeit bzw. der Beeinflussung durch Rezeption. Dabei spielten stets auch die altnordischen Texte eine wichtige Rolle, weil sie lange Zeit als unerschütterliche Zeugnisse germanischer Rechtsgedanken angesehen wurden.

 

Der nach dem Abitur mit seinem Vater auf eigenem Kiel zwar mühsam, aber unerschrocken auf dem kalten und stürmischen Nordatlantik nach Island segelnde, das rechtswissenschaftliche Studium in Erlangen (bei Harald Siems) aufnehmende, inzwischen als Rechtsanwalt in Hamburg tätige Verfasser des vorliegenden gewichtigen Werkes erhielt nach seinem Vorwort die Anregung zur näheren Untersuchung der behandelten Fragestellung 1996, als er das zweite Mal für ein Jahr in Reykjavik studierte. Damals wurde er auf Sveinbjörn Rafnssons Studie über Grágás og Digesta Iustiniani aufmerksam. In der Folge fertigte er nach Ablegung der rechtswissenschaftlichen Staatsprüfungen seine von Hermann Nehlsen betreute, im Sommer 2009 von der juristischen Fakultät der Universität München angenommene Dissertation an.

 

Sie gliedert sich nach Vorwort und Einleitung in fünf Sachkapitel, die mit einem Überblick über die Entwicklung der isländischen Gesetzgebung von 930 bis 1281 beginnen und danach Handschriften und Ausgaben der Grágás, Hafliði Másson (um 1055-1130) und die Niederschrift der Gesetze 1117/1118, mögliche Einflüsse des römischen Rechtes und christlichen Gedankenguts auf die grundsätzliche Gestalt der Grágás  sowie schließlich einzelne Bestimmungen betreffen, die auf einen Einfluss römischen Rechtes, biblischer Vorstellungen oder langobardischen Rechtes hindeuten. In diesem Rahmen kommt er zu vielfältigen neuen Einsichten.

 

Danach ist der Winter 1117/1118 von besonderer Bedeutung, als auf dem Hof Hafliði Mássons, dessen Vater nach dem Verfasser bis 1034 oder 1035 mehrere Jahre als Heerführer in Byzanz tätig war, die Gesetze erstmals umfassend aufgezeichnet wurden. Entgegen früheren Auffassungen sieht er in der vielleicht aus mehreren Handschriften geschaffenen Staðarhólsbók den gegenüber der Konungsbók ursprünglicheren, nach 1117/1118 nur um mindestens 100 meist kurze Neuerungen ergänzten Text. Inhaltlich weist das Recht der Grágás nach dem Verfasser viele Züge auf, die auch dem römischen Recht, wie es in Byzanz im 11. Jahrhundert angewendet wurde, eigentümlich sind (z. B. Popularklage, Legaldefinitionen, Fachtermini) und vor allem die juristische Methodik, aber auch Einrichtungen wie die Landeinforderung eines volljährig gewordenen Minderjährigen nach Veräußerung durch den Vormund betreffen, so dass der Verfasser am Ende seiner mutigen, selbständigen, eindringlichen, durch Anhang, Abbildungen, Literaturverzeichnis und eine Stichwortliste benutzerfreundlich bereicherten Darstellung davon überzeugt ist, dass die in Byzanz den Fall des weströmischen Reiches überdauernde antike Kultur in weit entfernten Ländern wie Island für das dortige Recht rezipiert wurde.

 

Innsbruck                                                                              Gerhard Köbler