Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, hg. v. Schmoeckel, Mathias/Rückert, Joachim/Zimmermann, Reinhard, Bd. 3 Schuldrecht Besonderer Teil §§ 433-853 red. v. Rückert, Joachim/Schäfer, Frank L., in zwei Teilbänden (§§ 433-656, 657-853). Mohr (Siebeck), Tübingen 2013. XXXVI, 1-1521, XIX, 1523-3034 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das im später
deutschen Sprachraum geltende Recht wird in ersten Umrissen bei Cäsar und
Tacitus und danach in den Volksrechten vor allem der Franken, Alemannen,
Bayern, Sachsen, Thüringer, Friesen und Langobarden sichtbar, ohne dass dort
zwischen öffentlichem und privatem Recht bereits unterschieden würde. Schon seit seinen Landshuter Vorlesungen der Jahre
1808/1809 vertrat Friedrich Carl von Savigny, ohne dies ausführlich zu
begründen, hierzu die Ansicht, dass die Wanderungen und Revolutionen der germanischen
Stämme verhindert hätten, dass das ursprüngliche germanische Recht einen festen
Bezugspunkt und einzigen Mittelpunkt habe, weshalb die Deutschen gar kein
eigenes ursprüngliches Recht besessen hätten, so dass auch für sie das seit dem
hohen Mittelalter übernommene römische Recht das eigentümliche Recht sei. Der
nach der damit begründeten Zurückweisung des älteren deutschen Rechtes
germanischer Herkunft und nach Ausscheiden der mittelalterlichen und
neuzeitlichen Entstellungen des römischen Rechtes verbleibende Stoff, nämlich
das klassisch-römische Recht, ist im eigentlich von einer historischen
Rechtsschule nicht zu erwartenden Wiederaufgreifen naturrechtlicher Begriffsbildung
und naturrechtlicher Systematik für Savigny der Gegenstand konstruktiv-systematischer,
die tatsächliche geschichtliche Entwicklung bewusst als überflüssig
abstreifender Durchdringung (System des heutigen römischen Rechtes, 1840ff.).
Mit diesen Überlegungen lehnte Savigny bekanntlich Thibauts
nach dem ersten politisch-militärischen Scheitern Napoleons 1814 vorgetragene
Idee über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für
Deutschland ab. Dem folgten die Fürsten und Städte des Deutschen Bundes aus
egoistischen Überlegungen nur allzu gerne, weshalb es auch bei dem
geschichtlich entstandenen partikularen Privatrecht im deutschen Sprachraum
während der folgenden Jahrzehnte blieb. Dies änderte sich erst, als im von
Bismarck angestrebten Deutschen Reich der Reichstag nach dem Vorbild
Frankreichs sich 1873 auf Antrag nationalliberaler Abgeordneter für die
Ausdehnung der Gesetzgebungszuständigkeit vom Schuldrecht auf das gesamte
bürgerliche Recht (und das gerichtliche Verfahren) entschied und nach
ausführlichen Beratungen am 1. 7. 1896 mehrheitlich das dem Code civil
vergleichbare Bürgerliche Gesetzbuch beschloss, das zum 1. 1. 1900 mit
insgesamt 2385 Paragraphen in Kraft trat.
Seitdem sind bereits mehr als 100 Jahre vergangen, in denen
dieses die Privatrechtseinheit im Deutschen Reich erstmals herstellende Werk
unter den verschiedensten Zielsetzungen vielfach geändert wurde. Die
Privatrechtsgeschichte der Deutschen wesentlich gestaltend hat es selbst mehr
und mehr Geschichte erfahren und erlebt. Etwa 100 Jahre nach seiner Schaffung
war daher der Plan eines historisch-kritischen Kommentars zum BGB naheliegend
und weiterführend zugleich.
Ihn haben die Herausgeber mit äußerer Ruhe und Gelassenheit
sowie innerem Engagement und Organisationstalent erfreulich gut vorangebracht.
Im Jahre 2003 erschienen die Ausführungen zum allgemeinen Teil, im Jahre 2007
die Untersuchungen zum allgemeinen Schuldrecht. Mit dem besonderen Teil des
Schuldrechts ist ein weiterer, besonders wichtiger Schritt auf das große Ziel
hin gelungen.
Insgesamt will der Kommentar den Traditionszusammenhang
zwischen dem Gesetzestext von 1896 und dem heute praktizierten „Zivilrecht“
sichtbar machen. Da sich Strukturen, Wertungen, Lösungen, Faktoren und
Auffassungen nur geschichtlich verstehen lassen, bedarf die Gegenwart der
verlässlichen historischen Grundlegung. Sie bietet der Kommentar in sehr umfangreicher
und vielfach kritisch-aktueller Weise.
Die konkreten Planungen für den vorliegenden dritten Band
begannen nach dem Vorwort im Jahre 2003, die konkreten Arbeiten unter der
praktischen Leitung Frank L. Schäfers 2005. Dabei konnte es kaum ausbleiben,
dass die in das Auge gefasste zeitliche Zielsetzung nicht vollständig
eingehalten werden konnte. Das eindrucksvolle Gesamtergebnis rechtfertigt aber
in jedem Fall jede aus den unterschiedlichsten Ursachen eingetretene
Verzögerung.
Insgesamt bietet das große Werk 48 Kommentarabschnitte.
Während acht von ihnen den Bearbeitungsstand des Jahres 2006 wiedergeben,
entsprechen anscheinend ziemlich viele dem Stand des Jahres 2012, die
Bearbeitung der §§ 611-616 sogar dem Stand des Erscheinungsjahrs. Nach einem
Verzeichnis wichtiger Literatur und einem Überblick über die Entstehung des
Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Nachweis der Quellentexte legt Sibylle Hofer die
Systematik des besonderen Schuldrechts dar. Danach folgen Kauf (Wolfgang
Ernst), Viehkauf und besondere Arten des Kaufes (Jan Thiessen), Verbrauchsgüterkauf
(Mathias Schmoeckel), Tausch (Jan Thiessen), Teilzeit-Wohnrechteverträge (Michaela
Reinkenhof), Gelddarlehen u. s. w. (Siegbert Lammel/Frank L. Schäfer),
Schenkung (Guido Pfeifer), Mietvertrag (Peter Oestmann), Pacht und Landpacht
(Frank Theisen), Leihe (Steffen Schlinker), Sachdarlehensvertrag (Rudolf
Meyer-Pritzel), die Regelungsprobleme und Lösungen (zu Dienst bzw. Arbeit) seit
Rom u. s. w. (Joachim Rückert, S. 700-1232), besondere Pflichten des
Dienstberechtigten (Andreas Deutsch), Beendigung des Dienstverhältnisses
(Andreas Deutsch/Thorsten Keiser), Werkvertrag (Wolfgang Forster/Christiane
Birr), Reisevertrag (Thomas Simon), Mäklervertrag (Michaela Reinkenhof), Ehemakler
(Michalea Reinkenhof), (im zweiten Teilband) Auslobung (Jens Kleinschmidt),
Auftrag und Geschäftsbesorgung (Siegbert Lammel), Zahlungsdienste (Stephan
Meder/Andrea Czelk), Geschäftsführung ohne Auftrag und Gewinnhaftung bei
Geschäftsanmaßung (Nils Jansen), Verwahrung (Ralf Frassek), Einbringung von
Sachen bei Gastwirten (Reinhard Zimmermann), Gesellschaft (Susanne Lepsius),
Gemeinschaft (Rudolf Meyer-Pritzl), Leibrente (Hans-Georg Hermann),
unvollkommene Verbindlichkeiten (Franz Dorn), Bürgschaft (Hans-Peter
Haferkamp), Vergleich (Hans-Georg Hermann), Schuldversprechen und
Schuldanerkenntnis (Andreas Thier), Anweisung (Stephan Meder/Andrea Czelk),
Schuldverschreibung auf den Inhaber (Arne Dirk Duncker), Vorlegung von Sachen
(Christiane Birr), ungerechtfertigte Bereicherung (Frank L. Schäfer),
unerlaubte Handlungen Deliktsrecht (Gottfried Schiemann), unerlaubte
Handlungen – Sondertatbestände (Bernd Kannowski).
Ein
Rechtsquellenverzeichnis, ein Personenverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis
runden die gewichtigen wie wichtigen Bände benutzerfreundlich ab. Zusammen mit
allen Fassungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs seit seiner Entstehung im Internet
(http://www.koeblergerhard.de/Fontes/BGBalleFassungen.htm
) und einem einbändigen Überblick Ulrike Köblers über Werden, Wandel und Wesen des
deutschen Privatrechtswortschatzes liegt damit für den allgemeinen Teil und das
Schuldrecht eine hervorragende Grundlage für die Privatrechtsgeschichte des
bürgerlichen Rechtes in Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart vor, die
hoffentlich bald in gleicher Güte fortgeführt werden kann. Vielleicht ist am
Ende dann auch einmal eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten neuen
Ergebnisse für den durchschnittlichen Studierenden in einem Band möglich.
Innsbruck Gerhard
Köbler