Handbuch zur Geschichte des deutschen
Notariats seit der Reichsnotariatsordnung, hg. v. Schmoeckel,
Mathias/Schubert, Werner (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 17).
Nomos, Baden-Baden 2012. 786 S. Besprochen von Andreas Schwennicke.
Der Band enthält einundzwanzig Beiträge
zur Geschichte des Notariats in Deutschland und in seinen Territorien. Mathias
Schmoeckel behandelt die Geschichte der Reichsnotariatsordnung von 1512, Inga
Zerbes ihre Wirkung bis 1806. Die rechtspolitischen Diskussionen zwischen dem
Ende des Alten Reichs und der Reichsgründung von 1871 verfolgt Michael
Kleensang, die Zeit des zweiten Kaiserreichs und der Weimarer Republik Louis
Pahlow, das Dritte Reich Johannes Gsänger, die DDR Elisabeth Koch und die
Bundesrepublik sowie das wiedervereinigte Deutschland Oliver Vossius. Zu den
Territorien enthält der Band Beiträge zum Notariat in Baden seit 1512 (Bernd
Kamnowski), im links- und
rechtsrheinischen Bayern (Hans-Georg Hermann), in Frankfurt am Main (Anja
Amend-Traut), Hamburg (Tilman Repgen), in Hannover (heutiges Niedersachsen)
(Stephan Meder), in den rheinischen Kurfürstentümern (Franz Dorn), im heutigen
Rheinland-Pfalz (Andreas Roth), in Preußen (Andreas Thier), in der preußischen
Rheinprovinz (1815-1945) (Hans-Peter Haferkamp), in Sachsen (Heiner Lück),
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern (Werner Schubert) und Württemberg (Werner Schubert). Den Band
beschließen Beiträge zur notariellen Berufspraxis, nämlich zum
Beurkundungsrecht bis zum Beurkundungsgesetz von 1969 (Werner Schubert) sowie
zum Notarsignet (Hermann Frischen).
Der Band ist ein Meilenstein in der
wissenschaftlichen Erschließung des Notarrechts in Deutschland. Er zeigt dem
interessierten Leser die Hintergründe für die bis heute bestehende Zersplitterung
des Notarwesens in Deutschland auf, die sich im Wesentlichen in der Zweiteilung
in das – ehemals preußische – Anwaltsnotariat und das ehemals vor allem
bayerische Nur-Notariat zeigt. Die für das Überleben des Anwaltsnotariats
maßgebliche Diskussion ist von Michael Kleensang (Nur-Notar aus Köln)
vorbildlich und zugleich spannend dargestellt; die Hintergründe der Diskussion
erhellen die Beiträge von Thier zu den (alt-)preußischen Gebieten
(Anwaltsnotariat) und von Hans-Peter Haferkamp zur preußischen Rheinprovinz
(Nur-Notariat nach französischem Vorbild). Die Besonderheiten des
württembergischen Notariats zeigt der
Beitrag von Schubert, der mit dem Übergang zum Nur-Notariat in Baden-Württemberg
zum 1. 1. 2018 schließt.
Der Band behandelt vorwiegend Fragen der
Gesetzgebungs-, Geistes- und Institutionengeschichte und ist damit eine
Geschichte des Notariatrechts, nicht der Notare und nicht ihrer Tätigkeit. Die
Notariatspraxis und das Urkundenwesen werden allenfalls gestreift. Damit lässt
sich das, was Notare waren und was sie taten, nur indirekt erschließen. Eine
Typologie der frühneuzeitlichen Notare fehlt. Im Ergebnis wird so das Bild des
modernen deutschen Notar in der Ausprägung als Nur-Notar in die frühe Neuzeit
zurück gespiegelt, also des freiberuflichen Trägers eines öffentlichen Amts,
der Urkunden errichtet, die öffentlichen Glauben genießen und vollstreckbar
sind. Damit bleiben eine Vielzahl von Fragen ungestellt und damit zugleich
unbeantwortet, die in Einzeluntersuchungen der neueren Forschung für andere
Rechtskreise bzw. Regionen exemplarisch beleuchtet wurden, wie z.B. für das
frühneuzeitliche Rom (Nussdorfer, Laurie, Brokers of Public Trust – Notaries in
Early Modern Rome, 2009). Wurden Notare nur vom Kaiser bestellt oder gab es
auch Notare, die vom Papst, von Territorialherrschern oder von Städten bestellt
wurden? Gab es auch private Schreiber, die sich Notare nannten? Wann fungierten
Notare auch z. B. als Gerichtsschreiber? Wofür war die Mitwirkung eines Notars
erforderlich und wann war sie ratsam? Andere Untersuchungen behandeln die
Bedeutung der Notare für die Entwicklung des privaten Kreditwesens (beispielsweise
Hoffman, Philip T./Postel-Vinay, Gilles/Rosenthal, Jean-Laurent, Priceless
Markets – The Political Economy of Credit in Paris 1660 – 1870, 2000).
Berlin Andreas
Schwennicke