Gräbener, Richard, Verfassungsinterdependenzen in der Republik Baden. Inhalt und Bedeutung der badischen Landeskonstitution von 1919 im Verfassungsgefüge des Weimarer Bundesstaates (= Schriften zum Landesverfassungsrecht Band 3). Nomos, Baden-Baden 2014. 518 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Nach der Nr. 28 des Badischen Gesetz- und Verordnungsblatts 1919 „hat das badische Volk durch die am 5. Januar 1919 gewählte verfassunggebende Nationalversammlung die (nachstehende) Verfassung“ vom 21. März 1919 beschlossen. Mit ihr beschäftigt sich die von Fabian Wittreck mit alle Erwartungen weit übersteigender Fürsorge und Mühe betreute, im Wintersemester 2013/2014 von der juristischen Fakultät der Universität angenommene, von der Konrad-Adenauer-Stiftung großzügig geförderte Dissertation des als wissenschaftlicher Mitarbeiter seines Lehrers tätigen Verfassers. Unter der Erkenntnis, dass für alle Länder aber für die landesverfassungsrechtliche Literatur das gleiche gilt wie für die Landesverfassung – sie hat deutlich mehr zu bieten als bislang angenommen – gliedert sie sich in insgesamt sechs Kapitel über den Gegenstand und Gang der Untersuchung, über die historische Entwicklung zwischen 1806 und 1919, das wechselseitige Geflecht von badischer Landesverfassung und deutscher Reichsverfassung, die faktische Beseitigung der Konstitution in Karlsruhe (oder Landesverfassung Badens) durch die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft, nachweisbare Einflüsse des Verfassungsrechts Badens auf die deutschen Nachkriegskonstitutionen (oder Verfassungen nach dem Ende des zweiten Weltkriegs) und eine  Zusammenfassungen der Ergebnisse in 20 Thesen sowie einen den Verfassungstext und anderes aus der einschlägigen Textsammlung Fabian Wittrecks weitgehend unverändert übernehmenden Anhang.

 

Den Kern der eindringlichen und sorgfältigen Untersuchung bildet das dritte Kapitel über die Verfassungsinterdependenzen. Hier geht der Verfasser von der Frage aus Die starke Reichsverfassung – die badische Landeskonstitution als faktisch „schwaches Homogenitätsresultat?, ermittelt danach die Kodifikationsfreiräume und deren (nachträgliche) inhaltliche Ausfüllung, stellt ausgewählte Strukturentscheidungen der verfassunggebenden Nationalversammlung auf den Prüfstand und ermittelt Konstruktionsfehler der Reichsverfassung unter dem möglichen Einfluss der Landesverfassung. Im Ergebnis stellt er fest, dass das Landesverfassungsrecht insgesamt zu Unrecht unterschätzt wird und die Verfassung Badens nach seinen Erkenntnissen deutlich mehr zu bieten hat, als bisher angenommen wurde und wird.

 

Dabei gestattete allen voran das breite und weitgehend vorgabenfreie Betätigungsfeld des Staatsorganisationsrecht den Schöpfern  der Landesverfassung(en) ein „solches Maß an eigenständiger Normsetzung, das innovative und bemerkenswerte Ausgestaltungen der freistaatlichen Konstitutionen keinesfalls im Keim erstickte“. Trotz der vorgegebenen Staatsstrukturprinzipien konnte der Verfassunggeber sein vornehmliches Kodifikationsanliegen der effektiven und durchdringenden Stärkung der Volkssouveränität durch Ausgestaltung der Organbeziehungen konstant und spürbar verwirklichen. Bei den Grundrechten „steht dem reichhaltigen Kranz grundrechtlicher Gewährleistungen“ der Reichsverfassung außer dem Mangel einer besonderen badischen Staatsgerichtsbarkeit ein vergleichsweise geringes Maß an Kreativität der badischen Verfassungsschöpfer gegenüber.

 

Einflüsse der Landesverfassung auf die Reichsverfassung sind nach dem Ergebnis des Autors zwar vorhanden, aber schwach bzw. verhalten. 1933 wurde durch die Einsetzung eines Reichskommissars für Baden die Exekutive ausgeschaltet, durch das Gleichschaltungsgesetz die Legislative Badens und aller anderen Länder. „Nach dem zweiten Weltkrieg kann Erbgut der badischen Urkunde aus der Zwischenkriegszeit im Produkt der verfassungsrechtlichen Konsolidierung Gesamtdeutschlands nicht gefunden werden“ und auch „hinsichtlich der vielschichtigen landesverfassungsrechtlichen Entwicklung auf vormals rein badischem Territorium tendiert der Befund in die gleiche Richtung“, und „unmittelbares Erbe in der schließlich geschaffenen Verfassungsurkunde Baden-Württembergs lässt sich bestenfalls noch ausgesprochen punktuell sowie mittelbar eruieren“.

 

Innsbruck                                                                              Gerhard Köbler