Fritz
Bauer - Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht, hg. v. Backhaus,
Fritz/Boll, Monika/Gross, Raphael. Campus, Frankfurt am Main, 2014. 300 S. Besprochen
von Ulrich-Dieter Oppitz.
Die als Katalogband angelegte Veröffentlichung für die Ausstellung,
die bis zum 7. September 2014 im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main und
danach im Thüringer Landtag in Erfurt (9. 12. 2014 - 1. 2. 2015) gezeigt wird,
gibt einen instruktiven Überblick über Leben und Wirken Fritz Bauers.
1903 in Stuttgart geboren,
machte er 1921 ein ausgezeichnetes Abitur und studierte anschließend
Jura in Tübingen, München und Heidelberg, wo er
1925 promovierte. Schon im April 1930 wurde er zum Amtsrichter in
Stuttgart ernannt. Als engagiertes Mitglied im Reichsbanner Schwarz-rot-gold
und als Sozialdemokrat in enger Zusammenarbeit mit Kurt Schumacher wurde er am
23. 3. 1933 aus seinem Dienstzimmer heraus von Nationalsozialisten verhaftet
und in das Konzentrationslager Heuberg gebracht. Bis zum 15. November 1933
wurde er dort und später im KZ Kuhberg in Ulm, wie auch Kurt Schumacher, in
Haft gehalten. Bezeichnend für die Einsamkeit, in der er schon als
Sozialdemokrat und Jude zwischen den konservativen Juristen lebte, war es, dass
bei seiner Abführung aus dem Dienstzimmer die Kollegen aus ihren Zimmern
traten, schweigend den Vorgang beobachteten und schweigend in ihre Zimmer
zurücktraten. Während seiner Haft wurde er aus dem Beamtenverhältnis entlassen,
so dass er nach seiner Haftentlassung am 15. November 1933 mit Aushilfsarbeiten
in einer Rechtsanwaltskanzlei seinen Lebensunterhalt verdienen musste. Im März
1936 floh er vor einer neuen Inhaftierung nach Dänemark und später nach
Schweden. Im Exil arbeitete er u. a. mit Bruno Kreisky und Willy Brandt
zusammen. Ihn empfahl er nach dem Kriege an Kurt Schumacher. Bereits 1946
wollte Bauer nach Deutschland zurückkehren,
jedoch musste er die Beobachtung vieler Emigranten machen, dass für den
Wiederaufbau und die Vergabe der staatlichen Positionen eher Personen genommen
wurden, die im Lande geblieben waren, als Emigranten. Es dauerte bis zum April
1949 bis ihm die Stelle eines Landgerichtsdirektors in Braunschweig übertragen
wurde. Bald nach Amtsantritt hatte er das Strafverfahren gegen den Leiter des
Strafgefängnisses Wolfenbüttel, Walter Herrmann, zu führen, der angeklagt war,
im Dezember 1948 das Entweichen des im Juni 1947 zum Tode verurteilten
ehemaligen Kreisleiters von Braunschweig, Berthold Heilig, gefördert zu haben.
Nach dem Freispruch für den Strafvollzugsreformer, der 1933 zwangspensioniert
und 1945 von der britischen Besatzungsregierung in das Wolfenbütteler Amt
eingesetzt worden war, wurde Bauer im Juli 1950 das Amt des
Generalstaatsanwalts in Braunschweig übertragen. Leider wird dieses Verfahren
nicht in dem Katalog erwähnt, obwohl es nicht weniger bedeutsam ist, als das
Verfahren gegen Otto Ernst Remer, der die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944
als Landesverräter bezeichnet hatte. Als der zuständige Staatsanwalt ein
Verfahren nicht eröffnen wollte, übernahm es Bauer persönlich, da in seinen
Augen die Klärung der Rechtsfragen um die Berechtigung des Widerstands gegen
Hitler grundsätzliche Bedeutung hatte. In einer für die damalige Zeit
ungewöhnlichen Weise bereitete Bauer den Sachverhalt auf und machte den damals
verfemten Widerstand sichtbar als eine Handlung, die nicht gegen Deutschland
gerichtet und damit kein Landesverrat war. Mit Gutachtern und Zeugen, die
selber Widerstand geleistet hatten, konnte er nachweisen, dass ‚ein
Unrechtsstaat wie das Dritte Reich überhaupt nicht hochverratsfähig‘sei. Wenn
auch Remer nur zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt wurde, war
das Ergebnis des Verfahrens ein Wendepunkt in der Bewertung des Widerstands des
20. Juli 1944 in der öffentlichen Wahrnehmung. Im Herbst 1956 ging er auf
Bitten des hessischen Ministerpräsidenten und Justizministers Georg August Zinn
als Generalstaatsanwalt nach Hessen. Dies Amt füllte er, trotz zahlreicher
Anfeindungen, bis zu seinem Tod im Jahre 1968 aus. In seine Amtsperiode fällt
die Vorbereitung und Durchführung des großen Auschwitz-Prozesses gegen Mulka u.
a. Entgegen landläufiger Ansicht vertrat er nicht die Anklage in diesem
Verfahren, sondern er förderte junge, von ihrer beruflichen Vergangenheit
unbelastete Staatsanwälte, die diesen Prozess und weitere ähnliche Verfahren
betrieben.
Die Stationen seines Lebens sind in Kurzbeiträgen von 15 Autoren unter
Illustration mit zahlreichen Abbildungen beschrieben. Der Umgang mit seinen
Mitarbeitern und anderen Personen wird ebenso geschildert wie die Umstände
seiner Selbsttötung. Seine Homosexualität, die zu seinen Lebzeiten seine Gegner
sicher exzessiv zu seiner Schmähung benutzt hätten, wird als ein Teil seines
Lebensentwurfes gewürdigt; hieran wird deutlich, wie sich, nicht zuletzt durch
Männer und Frauen wie Fritz Bauer, das Strafrecht und seine Stellung in der
Gesellschaft verändert haben. Gern wäre Bauer Mitglied der 1954 eingesetzten
Kommission für die Strafrechtsreform geworden. Die Zeitumstände und auch seine
Sozialdemokratie, die als Fraktion einen Sitz in dieser Kommission zu besetzen
hatte, waren in den 50er-Jahren jedoch noch
nicht bereit, einem solchen Querdenker eine Bühne zu geben. Im Nachhinein ist
dies zu bedauern. Teilweise kannten die Autoren des Sammelbands Fritz Bauer
persönlich und geben dadurch ein lebendiges Bild des großen Juristen mit vielseitigen
kulturellen Interessen.
Über seinem Leben stand wohl ein Zitat aus seinem Abituraufsatz aus
dem Jahre 1921: ‚Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von
uns kann etwas tun, daß sie nicht zur Hölle wird‘. Seit wenigen Jahren steht
dieses Zitat an der Empore des Haupttreppenhauses in seiner ehemaligen Stuttgarter
Schule. Dies ist nach langer Zeit der
Schmähung eine Würdigung, die er verdiente. Zu wünschen wäre, dass die
Ausstellung auch noch an anderen Plätzen gezeigt würde.
Neu-Ulm Ulrich-Dieter
Oppitz