Freitag, Sabine, Kriminologie in der Zivilgesellschaft. Wissenschaftsdiskurse und die britische Öffentlichkeit, 1830-1945 (= Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 73). Oldenbourg, München 2013. 515 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Verletzung des Menschen durch den Menschen ist so alt wie der Mensch selbst. Die zu ihrer Verhinderung vom Menschen erfundene Strafe als das vom Staat gegen einen Täter verhängte Übel ohne unmittelbaren Vorteil für das Opfer setzt demgegenüber den erst sehr viel später entstandenen Staat voraus. Nochmals deutlich jünger ist die im Verlauf der Neuzeit beginnende wissenschaftliche Diskussion über das crimen und die dazu gehörige Kriminologie.

 

Die sich im vorliegenden Werk mit einem wichtigen Teilaspekt dieses Gegenstands auseinandersetzende Verfasserin wurde nach dem 1984 aufgenommenen Studium der mittleren und neueren Geschichte, Germanistik und Philosophie in Frankfurt am Main und Rom in Frankfurt 1995 mit einer Dissertation über Friedrich Hecker (Biographie eines Republikaners) promoviert. Im Anschluss hieran war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut in London und ab 2003 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Universität Köln. Dort wurde sie im Wintersemester 2009/2010 mit einer Habilitationsschrift über Science and Citizenship - Krminalität, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in England, 1830-1945, habilitiert und nach Vertretungen in Frankfurt, München, Kiel und München im Sommer 2012 auf den Lehrstuhl für neuere und neueste Geschichte unter Einbeziehung der Landesgeschichte an die Universität Bamberg berufen.

 

Ihr stattliches Werk gliedert sich nach einer Einleitung über Fragestellung und Erkenntnisinteresse, Forschungsstand, Quellenlage, Ansatz und Aufbau der Studie in fünf Sachkapitel. Sie betreffen im ungefähr chronologischen Diskussionsverlauf Statistik, empirische Sozialforschung und Sozialreform (1830-1895) (Henry Mayhew, Charles Booth), medizinisch-psychiatrische Diskurse (1850-1890) (Bénédict Augustin Morel, George Wilson, Bruce Thomson, Henry Maudsley, David Nicolson, Gladstone Report), Eugenik, Anlage und Umwelt (1860-1930) (Francis Galton), Biometrie, Mendelsche Gesetze und Experten (1900-1930) (Charles Goring, Karl Pearson) und die neue Psychologie (1890-1945) (William Healy, Cyril Burt, John Bowlby). Am Ende fasst die Autorin ihre aus umfangreichen Quellen ermittelten vielfältigen neuen Detaileinsichten dahingehend zusammen, dass die Wissenschaft für die Gesellschaft auch in England im Bereich von Verbrechen und Strafe nicht Herrin sondern nur Hilfe war und sein kann.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler