Das Münchner Weltgerichtsspiel und Ulrich Tenglers Büchlein vom jüngsten Gericht, hg. v. Schulze, Ursula (= Relectiones 2). Hirzel, Stuttgart 2014. XXVIII, 173 S., 4 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

 

Die Berliner Germanistin legt den Text des 1510 in München aufgeführten ‚Weltgerichtspieles‘ und den Druck Ulrich Tenglers von 1512 vor. Trotz der Vielzahl verfügbarer Digitalisate und Nachdrucke von Tenglers Schriften hat der Druck seine Berechtigung, denn er stellt in handlicher Form zwei Texte aus der reichhaltigen Weltspielüberlieferung zusammen, bei denen eine Verbindung erkennbar ist. Die Einführung zu den Endzeitvorstellungen mit Würdigung der Motive, der Ikonographie und den literarischen Weltgerichtsdarstellungen stellt den Forschungsstand im Überblick dar. Nach einem Ausblick auf die Grundstruktur und Varianten der Weltgerichtsspiele folgt die Wiedergabe der beiden edierten Texte. Bereits in ihren Editionen der Berliner und Churer Weltgerichtsspiele hat die Autorin wesentliche Beiträge zur Erforschung der Weltgerichtsspiele geliefert. Die Edition des Münchner Weltgerichtsspieles knüpft an diese Arbeiten an. Nachdem lange Jahre hindurch eine bislang nicht erschienene Edition dieses Textes durch Rolf Bergmann und Hans Blosen angekündigt worden war, ist die vorliegende Arbeit zu begrüßen. Wie die Herausgeberin 2004 anläßlich der „synoptischen Gesamtausgabe“ der deutschen Weltgerichtsspiele durch Hansjürgen Linke zu Recht festgestellt hat, ist diese Ausgabe „unangemessen und wenig effektiv“ und besitzt „für die weitere Forschung nur sehr begrenzten Wert“. Es war daher naheliegend eine Ausgabe zu schaffen, die üblichen Editionsstandards Rechnung trägt. In Fußnoten bei den jeweiligen Versen gibt Schulze die Lesereinträge an den Rändern an, denen Linke 1998 eine gesonderte Veröffentlichung gewidmet hatte. Hierbei löst Schulze, anders als Linke, die Kürzungen in den Texten auf. Deutlich werden in der Edition die Ergänzungen in dem Münchner Text gegenüber den anderen Spielen, der Auftritt des Knaben (Verse 1606-1644), der dem Teufel entrinnen will und der Auftritt des ‚valschen reichen man, der auf erdtrich nye kain guts hat gethan‘ (Verse 1845-1886), dessen Sündenregister der Teufel auf einer kueheut niedergeschrieben hat. Tengler fügte seine Endzeitvision erstmals in die Auflage von 1511 seines ‚Neu Layenspiegels‘ (VD 16 T 340, S. CCXXII-CCXXXV) ein, 1512 erschien sie als ein eigenständiger Druck (VD 16 T 354), der heute nur in wenigen Exemplaren (Berlin, Goslar, Krakau und Zwickau) erhalten ist. Schulze hat das Zwickauer Exemplar ihrer Bearbeitung zugrunde gelegt, ein Textvergleich mit den weiteren Exemplaren ist der Beschreibung nicht zu entnehmen. Der Druck zeigt in weiten Bereichen eine gedankliche Übereinstimmung mit der Handschrift, wie sie zu keinem der anderen überlieferten Spiele zu beobachten ist. Der Druck belegt einen Medienwechsel vom geistlichen Text, der für eine Aufführung geschaffen wurde, zu einem Teil der juristischen Grundlageninformation. Dies betrifft besonders die zentrale Rolle, die einem gerechten Richter zugewiesen wird. Seine Tugenden werden ausführlich beschrieben und es wird darauf verwiesen, dass der Richter beim Jüngsten Gericht an seinem Verhalten gemessen werden wird. Wie Gott beim Jüngsten Gericht über alle Menschen urteilt, soll sich der Richter während seiner irdischen Tätigkeit immer bewusst sein, dass auch er einem Richter unterworfen ist. Zwar kann der Richter auf Gottes Hilfe zählen, jedoch hat eine eigene hohe Verantwortlichkeit. In diesem Zusammenhang spielt die Unbestechlichkeit eine bedeutende Rolle. Die jeweils ausführlichen Klagen zu Gott als dem gerechten Richter wenden sich auch an die Richter der irdischen Gerechtigkeit. Diese ausführliche Tugendlehre (Verse 65-90) ergänzt literarisch die zahlreichen rechtlichen Regelungen, die im Spätmittelalter einen gerechten Richter umschrieben haben. Tenglers Text geht mit dem Zeugnis der teuflichen Engel (Verse 305-314) über den Text des Münchner Weltgerichtsspiels hinaus. Beeindruckend wird die Bitte Marias und aller Heiligen an Gott (Verse 451-495) dargestellt, der jedoch Gott in seiner Erwiderung (Verse 497-530) nicht folgt. Das göttliche Urteil ist anders als die Urteile irdischer Gerichte verständlicherweise ohne Berufungsmöglichkeit. Zum Schluss dieser Einfügung vertieft Tengler seine Mahnung an die Richter in einem erneuten Hinweis auf ihre Stellung beim Jüngsten Gericht. In den Auflagen des Neu Layenspiegels, die nach der Reformation erschienen, ist diese Einfügung, dem neuen Zeitgeist Rechnung tragend, nicht mehr enthalten.

 

Die beiden Texte sind dennoch als beeindruckende Zeugnisse einer Bindung der Richter, nannte man sie früher ‚Bindung an Gott‘, nennt man sie heute ‚Idee der Gerechtigkeit‘, noch heute bedenkenswert.

 

Neu-Ulm                                                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz